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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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finden würde. Die Filzläuse verbreiteten sich auf Drop City wie Farbstoff im Wasser, und schnell bildeten sich Lager, flogen die Vorwürfe, und die Filzläuse – anhänglich und hartnäckig, menschlichem Blut und intimen Stellen zugetan – gaben die Truppenzugehörigkeit an im Krieg zwischen freier Liebe und Zweierbeziehung. Star hatte keine Filzläuse und Marco auch nicht. Aber Jiminy hatte sie Merry angehängt, nur erzählte er nicht, bei wem er sie sich geholt hatte, und Alfredo war von Reba infiziert worden, die niemandem etwas vorgaukeln konnte, denn sie hatte mit Deuce herumgemacht, und Deuce war – dies blieb allerdings Spekulation – über Lydia drübergerutscht, genau wie die Hälfte der anderen Freaks, einfach so: weil sie eben wieder da und zu haben war und so gut wie neu. Deshalb war Lydia jetzt der Paria, obwohl sie gar nicht gewußt hatte, was sie tat, denn es dauerte etwa eine Woche, bis die Filzläuse aus den Eiern schlüpften, um zu beißen und zu saugen und ihren Kot abzusondern, bis die Haut sich entzündete und es alle überall juckte .
    Marco fand es sogar irgendwie witzig, eine Art »Reigen« auf der Provinzbühne. Lange gehegte Ressentiments flammten plötzlich auf. Scheinheilige gingen auf andere Scheinheilige los. Kontakte wurden abgebrochen. Man lief aneinander vorbei, ohne aufzublicken, löffelte seine Reispampe und die fleischlose Soße aus dem Kommunetopf, und der Nachbar in der Schlange hätte ebensogut tot sein können. Infolge all dessen herrschte bei der Belegung der drei Blockhäuser und des Versammlungsgebäudes eine ständige Fluktuation, mal flog Deuce aus einem Bett, dann wieder Angela, Erika oder Geoffrey. Im allgemeinen Gezeter einer besonders streitbaren Versammlung hatte Reba als die Gesundheitsbeauftragte kreischend die Parole ausgegeben, es solle sich jeder, und zwar egal ob verlaust oder nicht, die Schamhaare rasieren und die Unterwäsche in Desinfektionsmittel tunken, um so die beinahe unsichtbaren Nissen der Viecher abzutöten, und Mendocino Bill, den es ebenfalls juckte, ließ verlauten, es habe überhaupt keinen Sinn, seinen Fußpuder zu klauen, denn das Zeug sei gegen die Läuse ungefähr so wirksam wie Hafermehl. Norm juckte es. Premstar juckte es. »Leute, ich weiß, daß es höllisch brennt«, verkündete Norm durch das allgemeine Krakeelen der aufgewühlten Kommune, »aber ich sag euch, was ihr tun müßt: jeden Abend mit ein bißchen Petroleum einreiben, so etwa ein Schnapsglas voll.«
    Sackratten. Filzläuse. Nichts als eine der vielen Lebensformen auf diesem Planeten, von der Evolution perfekt für ihre Nische entwickelt, so würden Biologen sagen. Und was war die ideale Lebensform, die unabhängig von anderen war, von niemandem schmarotzte und die eigene Nahrung durch Photosynthese erzeugte? Genau, die Pflanze, der Baum. Schon, aber sobald es eine solche Lebensform gab, also Bäume und Blätter, stellte ihr die Evolution sofort das Insekt zur Seite, das daran fraß, und den Pilz, der sie verrotten ließ, und dann den Vogel, der sich vom Insekt ernährte, und die Katze, die den Vogel verspeiste. Marco wiederum, mit dem Gewehr in der Hand und Schneekristallen im Gesicht, gab soeben sein Allerbestes, um einer anderen, viel größeren Lebensform das Leben zu nehmen. Warum auch nicht? Wenn die Läuse seine Brüder und Schwestern zwischen den Beinen beknabbern konnten, wieso sollte er dann nicht – wieso sollten sie nicht alle – an einer Elchkeule knabbern?
    Inzwischen war es fast vollkommen dunkel. Die Bäume waren schwarze Schatten, die Fährten kaum noch zu sehen. Marco kniete sich hin, um sie zu lesen, sämtliche Sinne hellwach und gespannt, er horchte und spähte, wagte kaum zu atmen, dann hob er den Kopf, und da war er, der Elch, oder der Kopf eines Elchs, der da hinter einer Fichte aus einer dunklen Schattenballung herausragte. Er war wachsam, dieser Elch, blähte die Nüstern in dem Versuch, die Witterung aufzunehmen, und sein massiger Körper blieb zum Großteil hinter den Bäumen verborgen, ohne viel Eile, sich der Gefahr auszusetzen. Marco wartete einen langen, atemlosen Moment darauf, daß der Elch ins Freie hinaustrat, er schätzte ab, wo die Schulter erscheinen würde, damit er auf den Punkt knapp dahinter zielen und so den tödlichen Treffer landen konnte. Doch das Tier bewegte sich kaum, da war nicht mehr als ein Zucken, mit dem es überhaupt als lebendig zu erkennen war, und schließlich, weil Marco Angst hatte, seine Chance zu verpassen,

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