Drop City
die Beine anzuwinkeln und hineinzuklettern.
»Schneit es stark?« Mit einer Hand hielt Star die umgedrehte Flasche mit der Chilisauce über den Topf, während sie mit der anderen aus der großen rostigen Dose weißen Pfeffer hineinsprenkelte, Gewürze für die Meute, es konnte niemals scharf genug sein.
»Es schneit, und es stürmt«, sagte er, und jeder im Raum hörte ihm zu. »Ich war kurz mal Schlittschuh laufen, draußen auf dem Fluß, da, wo wir diese schöne Stelle freigefegt haben. Aber dann fing’s an zu schneien, das hat den Platz wieder total ruiniert.«
»Marco hast du wohl nicht gesehen, was? Weil der nämlich schon den ganzen Tag weg ist.«
»Ist er auf die Jagd gegangen?«
»Nein«, sagte sie, griff nach dem langen Holzlöffel und rührte energisch im Topf. »Er ist rüber zum Woodchopper Creek, um die Gewehre zurückzuholen, die sich Pan unter den Nagel gerissen hat.«
»Tut mir ja leid, aber Pan ist ein Arschloch der reinsten Sorte«, warf Bill ein. Er hockte mit Harmony über einem Schachspiel, seine überdimensionalen Füße baumelten in bonbonfarben gestreiften Socken von der Zwischendecke herunter. »Schlimmer noch, ein richtiger Trickbetrüger ist das, so wie diese Verbrechertypen, die in Haight-Ashbury damals alles ruiniert haben. Der hat nichts außer den eigenen Vorteil im Kopf. Ende der Durchsage.«
»Mir schuldet er noch zehn Mäuse«, sagte Harmony.
Tom Krishna saß in eine Decke gewickelt auf einem der eingebauten Etagenbetten. Er sah von dem Buch auf, das er gerade las – die Weisheiten irgendeines Gurus, dessen Namen Star nicht aussprechen konnte; sie wußte nur noch, daß er sich ausschließlich von Luft ernährt und die moksha erlangt hatte, nachdem er in einem tibetanischen Lama-Kloster an einem Hirntumor gestorben war. »Ich hab ihm sechzehn Dollar gegeben, für persönliche Sachen, ja? Und was hab ich gekriegt? Gar nichts. Nicht mal einen Zug von dem Gras, in das er angeblich fürs Allgemeinwohl investiert hat.«
»Echt ein Witz«, sagte Bill.
So ging das noch eine Weile weiter – das Thema Pan, und sie mochte vorher depressiv gewesen sein, jetzt aber fühlte sie sich wie nach einem schmerzlichen Verlust, als wäre er irgendwo zum Sterben hingekrochen, denn es wollte ihn niemand verteidigen, nicht einmal Lydia –, aber dann drehte Jiminy seinen schmächtigen Hintern zum Ofen und fragte Tom Krishna, ob das neue Bier schon fertig vergoren wäre, und Tom sagte ja, und der Schnee fiel und der Hund schlief, und ihr wurde klar, daß sie keine richtige Antwort auf ihre Frage nach Marco bekommen hatte. Sie zog an einem Joint und reichte ihn weiter. Darum ging es im Kommuneleben nun einmal, ums Weiterreichen. Aber was war mit Marco? Wie stand es damit, daß die Kommune für ihn Verantwortung trug, daß man sich langsam ernsthaft sorgen und einen Suchtrupp zusammenstellen mußte – wollten sie diese Last etwa auch einfach weiterreichen? »Alfredo?« sagte sie plötzlich und viel zu laut. »Wie spät ist es jetzt?«
Alfredo saß oben im Loft bei Bill und Harmony, um gegen den Gewinner der Schachpartie anzutreten. Sie spielten ein Turnier, zwölf Spieler, zwölf Spiele pro Tag, zwölf Tage lang. Wenn das vorbei und der Sieger gekrönt war, würden sie das nächste Turnier beginnen. »Drei Uhr fünfundvierzig«, rief er mit gedehnter Stimme hinunter, die ebensogut einem Ansager im Fernsehstudio gehören konnte, einem Walter Cronkite oder Huntley oder Brinkly. Drei Uhr fünfundvierzig. Die richtige Welt, die mechanische Welt mischte sich ein.
»Weil Marco, ich weiß nicht, schon seit Mittag oder so weg ist – sollten wir nicht, also ich meine, will denn keiner mal losgehen und nach ihm suchen?«
Es war zwei oder drei Stunden später, als sich alle zum Abendessen setzten – oder vielmehr, als das Abendessen ausgeteilt wurde, denn Drop City aß nicht mehr gemeinsam. Einerseits gab es gar nicht genug Platz dafür: selbst wenn sie den Tisch von der Wand wegrückten und ringsherum Stühle aufstellten, hatten nur acht Personen bequem daran Platz, falls man den Balanceakt auf einem wackligen Fichtenstamm in sechzig Zentimeter Höhe bequem nennen wollte. Die übrigen schnappten sich einfach einen Teller, häuften Reis, Bohnen oder Pasta drauf und aßen dann auf dem Boden oder im nächstbesten Bett, oder sie kletterten die Leiter zum Zwischenboden hinauf, und all das machte jedem ständig bewußt, wie extrem eng es auf fünfunddreißig Quadratmetern werden konnte. Ein zweiter Grund
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