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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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So was kann jeder lernen.«
    Sie standen vor der leeren Falle, die Hunde krümmten sich und schnupperten an ihren Spuren, eine leise Brise bewegte die Baumwipfel. »Sogar Joe Bosky?« fragte Marco. »Sogar Pan?«
    Sess verzichtete auf eine Antwort – die Frage war zu provokant, das merkte Marco sofort und wünschte, er hätte sie nicht gestellt. Bis zu diesem Moment waren Sess und er prächtig miteinander ausgekommen, zwei Männer im Einklang, und sobald Sess gemerkt hatte, daß Marco sich gut hielt, daß er Power besaß und keineswegs nur ein Tourist war, übertrug er ihm immer mehr Verantwortung, und so schirrte Marco jetzt die Hunde an, fütterte sie, ließ sie laufen und kochte zu Mittag den Kaffee.
    Sess starrte auf die Fährten im Schnee, die Hände in die Hüfte gestützt, in seinem Parka, der so oft geflickt war, daß man kaum die ursprüngliche Farbe erkennen konnte, und zog ein nachdenkliches Gesicht, in seiner Miene spielten unterdrückte Gefühle wie auf einem Holzschnitt von Häuptling Joseph vom Stamm der Nez Percé. Seine mit Vielfraßpelz gefütterte Kapuze hielt den Wind ab, und als Marco die langen dunklen Haare flattern sah, mußte er plötzlich an die Ziegen denken und an die Hilflosigkeit, die er im Angesicht dieser gnadenlosen Kreatur aus der Tiefe des Waldes empfunden hatte. Und was würden sie tun, wenn sie heute auf so ein Vieh stießen – oder auf einen Bären? Als einzige Waffe hatten sie die Zweiundzwanziger dabei, weil Sess das schwere Gewehr nicht mitnehmen wollte – zu spät im Jahr für Elche, also wäre es nur eine unnütze Last. Die Bären lagen jetzt im Winterschlaf. Die Wölfe allerdings nicht. Und was war mit jenem legendären Alaska-Alptraum, dem Winterbären, dem Grizzly, der sich zu früh in seine Höhle zurückgezogen hat und deshalb mitten im Winter aufwacht, ausgehungert nach Fleisch und Fett, das er zum Überleben braucht? Was würde ein Kleinkaliber wohl gegen so einen ausrichten?
    Es wurde schon wieder dunkel, als sie um eine Spitzkehre kamen, an der die Hunde langsamer wurden und unsichere Blicke über die Schultern warfen. Vor ihnen war eine Falle, aber irgend etwas stimmte nicht damit. Es steckte ein Tier darin, zu groß für einen Marder oder einen Otter, und es war auch nicht tot und hartgefroren wie der Ärmel eines Pelzmantels, der in einem Kühlraum am Haken hing, sondern es lebte, es funkelte sie aus gelben Augen an und zerrte hysterisch an einer angespannten gelbbraunen Leine, die sein rechter Hinterlauf war. Es war ein Wolf, dachte Marco zunächst, aber Sess stieß nur einen leisen Fluch aus – es war kein Wolf, sondern ein Coyote, ein praktisch wertloses Fell, denn keine aufgetakelte Matrone auf der Park Avenue oder dem Lake Shore Drive wollte in so was in ihr Lieblingsrestaurant schlendern.
    Die Hunde waren wie verrückt. Sie rochen die Beute, stießen ein wütendes, frustriertes, jammerndes Geheul aus und rissen in einem Gewirr aus gefletschten Zähnen und sich verhakenden Beinen an ihrem Geschirr. Sess band den Schlitten ein gutes Stück entfernt an einem Baum fest, und er und Marco gingen auf das Tier zu, das sich ihnen im Radius seines feststeckenden Hinterlaufs entgegenwarf und wütend schnappte. Der Schnee war blutgefleckt. Der Coyote hatte versucht, Fell, Haut, Knorpel und Knochen des eigenen Beins durchzunagen, um sich zu befreien, aber jetzt war es zu spät, weil nun Hunde da waren und Menschen, und der eine hielt ein Gewehr, der andere einen Knüppel. »Scheiße, am liebsten würde ich ihm kurz eins überziehen und dann seinen Lauf befreien«, sagte Sess, »aber der hat mir noch etwas zuviel Feuer in sich. Riskieren wir’s lieber nicht.«
    Das verletzte Tier steckte fest, in seinen Augen lag nichts als untröstliches Entsetzen, obwohl es weiter zerrte und knurrte und drohte – und wo blieben bei alledem Liebe und Frieden, was war mit Pazifismus und der vegetarischen Lebensweise? In der Farbe erinnerte der Coyote an einen Schäferhund, vielleicht war er etwas kleiner, aber mit demselben gelblichbraunen Fell und den dunklen Deckhaarspitzen. Marco drehte sich der Magen um. Konnte man hier draußen leben, ohne so etwas zu tun? Sich nur von Fisch ernähren? Und von dem existieren, was man im Sommer bei Waldbrandeinsätzen verdiente? Von der Wohlfahrt und dem Arbeitslosengeld, von Thunfisch, Makkaroni und Käse? Sein Atem dampfte in der Luft. Sess reichte ihm das Kleinkaliber. »Los doch«, sagte er. »Mach seinem Leiden ein Ende.«
    In diesem

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