Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Moment wurde es dunkel, oder es kam Marco so vor. Der Coyote hatte zu kämpfen aufgehört. Er kauerte hechelnd vor ihm, den Kopf tief gesenkt, das Feuer in seinen Augen war erloschen. Marco schaffte es nicht mal, das Gewehr anzulegen. »Ich kann nicht«, sagte er und gab es Sess zurück. Er wandte sich ab und sah nach den Hunden, und kurz danach entlud sich die dräuende Stille in einem Schuß.
    Später, als die Wolken sich verzogen hatten und der Mond über den Horizont gehüpft war, fuhren sie über eine weite Wiese entlang des Flusses, keine Viertelstunde mehr von der Hütte am No Name Creek entfernt, die für diese Nacht ihr Ziel war. Der Coyote lag steifgefroren und staksbeinig oben auf dem Schlitten wie überflüssiges Gepäck. (»Kannst ihn ja häuten und deiner Freundin mitbringen«, hatte Sess gesagt. »Nagle ihn an die Wand, oder mach einen Bettvorleger draus. Nenn es deine erste Beute.«) Die Hunde ließen schon etwas nach, besonders die beiden vor Lester und Franklin. Sie warfen sich vorwärts, dann blieben sie wieder zurück, zuckten in den Hüften, und ihre Beine gerieten immer wieder aus dem Takt. Marco stand auf den Kufen, Sess joggte neben ihnen her. Auf einmal hörten sie das Flugzeug, ein dünnes, mechanisches Schwirren in der Luft, die zu kalt war, um mitzuschwingen.
    Sie fuhren weiter. Bald würden sie die Hütte erreichen, wo sie ein Feuer erwartete und wieder ein Elcheintopf – oder vielleicht war es diesmal eine Elchsuppe mit Einlage oder gebratener Elch im Speckmantel, mit gefrorenen Kartoffeln und Zwiebeln oder sogar getrockneten Karotten dazu –, und ein Flugzeug bedeutete gar nichts für sie. Vermutlich war es jemand aus Eagle, der nach Boynton unterwegs war, oder nach Fairbanks oder Delta. Marco ließ das Schwirren in seinem Kopf untergehen. Er befand sich beinahe in einer Art Trance, dabei waren seine Sinne messerscharf, als hätte er Acid eingeworfen, er registrierte jede Schattierung des Wegs vor ihnen, den Geschmack und Geruch der Luft, das Stampfen der Hundepfoten im Schnee, die großartige, wunderbare Maschinerie des eigenen Atemvorgangs und den unbeugsamen Schlag seines Herzens. Dies war sein Moment, dies war die Verschmelzung, und er spürte es mit jeder Zelle seines Körpers. Ihm war nicht einmal kalt. Nicht im geringsten.
    Doch dann wurde aus dem dünnen, unaufdringlichen Schwirren, das auch das Summen eines Moskitos in einer schlaflosen Sommernacht hätte sein können, etwas Größeres, Lauteres, ein bedrohlich ratterndes Verhängnis, bis sie es nicht mehr ignorieren konnten. Er blickte auf die Rücken der Hunde, zu der dunklen Baumlinie weiter vorn, und dann sah er zu Sess hinüber, gerade als die Cessna über den Baumwipfeln hinter ihnen hervorbrach, keine fünfzig Meter über dem Boden, und genau auf sie zuhielt. Sess stockte keinen Moment. Er feuerte die Hunde an, trieb sie an zu mehr Tempo. Und dann wandte er sich an Marco, alles ging rasend schnell in einem fließenden Strom aus Nacht und Wind, den sie bei ihrer Flucht erzeugten – das war es nämlich, eine Flucht –, und er rief ein einziges Wort: »Bosky!«
    Beide sahen, wie sich die Maschine am Ende der Wiese in die Kurve legte und nochmals zurückkam, und sie konnten nichts dagegen tun, es blieb keine Zeit für Fragen, wieviel Haß und Starrsinn die Dinge so auf die Spitze getrieben hatten, keine Zeit für Vernunft oder auch nur für Worte. Sie rasten dahin. Und Bosky nahm sie aufs Korn. Es fielen Schüsse – dessen war sich Marco sicher, neben ihm stob der Schnee auf, und einer der Hunde jaulte und stolperte in seinem Geschirr, woraufhin ihn die anderen in einer dunklen Flut der Notwendigkeit einfach mitschleiften –, und dann hörten sie das Krachen von etwas, was mit hoher Geschwindigkeit gegen ein unbewegliches Objekt prallt, ein einziger tödlicher Knack, und nun waren sie unter den Bäumen und sahen das Flugzeug nicht mehr.
    Als erstes ließ Sess die Hunde in der Deckung des Waldes haltmachen und band den Schlitten fest. Dann zog er die Zweiundzwanziger aus dem Futteral, das er unter dem linken Handgriff dafür angebracht hatte, und feuerte zwei sinnlose Schüsse in die Nacht. »Verfluchtes Arschloch!« brüllte er. »Du beschissener Spinner! Du Drecksack, ich bring dich um!«
    Auf einmal war es kalt. Unglaublich kalt. Es war die Art Kälte, die einem ins Mark fuhr, egal, wie viele Schichten Kleidung man anhatte. Marco fühlte sich taub, am ganzen Körper taub. Er wußte nicht recht, was geschehen war, von

Weitere Kostenlose Bücher