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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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von Nerz, Fischotter und Fuchs, wie durch Zauberei entstanden, ganz so wie die Lachse, die in den Bächen wuselten, und die Entenschwärme am Himmel. Aber wo waren sie? Und was ragte da über den Schlittenrahmen hinaus – Stiefel? Ein Paar Ersatzstiefel?
    Sie wollte gerade etwas sagen, als Marco aus dem blauen Geglitzer des Schnees auftauchte, sie am Arm ergriff und durch den Trampelkorridor ins Innere des Hauses führte. Sein Bart war aus Eis. Sein Blick wirkte gesplittert und gebrochen. Die Nasenspitze hatte die falsche Farbe. »Es ist was passiert«, sagte er.
    Von draußen drangen Geräusche herein, die Stimmen von Sess und Pamela, die Hunde, die kläfften und um Futter bettelten. »Was?« fragte sie und bemühte sich, in seinem Gesicht zu lesen, obwohl sich Marco von ihr abwandte, um die Hände über dem Ofen zu wärmen. Ihr wurde auf einmal übel. Ein Schatten legte sich über das Land, über das Blockhaus, über Drop City. »Was denn? Was ist passiert?«
    »Ronnie«, sagte er.
    »Ronnie?« Sie verstand nicht. Was konnte Ronnie denn mit einem verletzten Schlittenhund und einer Drei-Tages-Tour über Hügel und durch Schluchten bei minus vierzig Grad zu tun haben? Ronnie der Dieb? Ronnie der Unbedeutende? Wen kümmerte er schon? Wirklich, wer scherte sich um ihn? Er war mit ihr auf die Highschool gegangen. Er war mit ihr im Bett gewesen. Er hatte ihr Geld gestohlen.
    Marco konnte ihr nicht in die Augen sehen, und das jagte ihr Angst ein.
    »Was?« wollte sie wissen. »Was war los?«
    »Er ... Sie haben versucht, er und Bosky ... aus dem Flugzeug ... Er ist gestorben. Er ist tot.«
    Sie begriff noch immer nicht. »Wer jetzt? Joe Bosky?«
    »Alle beide. Das Flugzeug ist abgestürzt.«
    Sie mußte sich setzten, und jetzt war Pamela im Zimmer, Sess kam gleich hinter ihr herein, die Tür knallte zu, der letzte Hauch der Kälte war eingesperrt und verwehte im Wärmeofen der vier Wände, der knappe Raum wirkte plötzlich beengt, überall Schultern, Gesichter, Arme und Beine, vier Menschen in Parkas stapften umher und wichen voreinander zurück, als versuchten sie, sich während der Stoßzeit einen Weg durch die Grand Central Station zu bahnen: Ronnie? Tot?
    Irgendwann – es mußte eine Stunde danach gewesen sein oder noch später – ging Star wieder hinaus, die Hand fest in Marcos gelegt, um ihn sich anzusehen, da auf dem Schlitten, weil sie es immer noch nicht glaubte, weil sie nicht daran glaubte, daß irgendwer sterben konnte – alte Leute vielleicht, gut, die schon –, aber niemand, den sie kannte, niemand wie Ronnie. Wie Pan . Sie waren zusammen quer durch das Land gefahren. Er hatte sie zum Lachen gebracht. Hatte sich an sie gedrückt, in der Stille ihres Mädchenzimmers, auf dem Sitz seines Wagens, in den gestärkten trommelharten Betten von Motels in anonymen Städten, er hatte ihr vorgelesen und vorgesungen, sie angehimmelt und geliebt. Und nun lag er steifgefroren auf dem Schlitten, ein Schatten, ein toter Klumpen Nichts, das sich im Tod gegen den toten Klumpen Joe Bosky drückte – und das waren seine Stiefel, Joe Boskys Stiefel, die da ganz unten auf der Ladefläche an seinen gefrorenen toten Füßen steckten. Sie wollte weinen, aber es waren keine Tränen da. »Ich möchte ihn sehen«, sagte sie, und ihre Stimme verriet sie.
    Marcos Atem zog Bahnen von seinen Lippen, silberweiß und lebendig. »Nein, das würde ich nicht tun. Wirklich nicht. Komm, wir gehen wieder rein. Legen wir uns erst mal hin, und morgen früh entscheiden wir, was wir unternehmen. Gut so?«
    Es war nicht gut so. Sie trat vor, die Hunde schepperten an ihren Ketten, die Sterne rasten hoch über ihr am Himmel dahin, bis diese ganze Nacht um Fürsprache zu bitten schien, dann zog sie die Decke zurück, und der Mond zeigte ihr, was es zu sehen gab.
    »Das ist nicht Pan«, sagte sie.
    Und er war es auch nicht. Es war ein zur Unmöglichkeit verzerrtes Abbild, nichts Natürliches, nichts, das sie identifizieren konnte, es besaß nicht einmal ein Gesicht, weil es in seiner festgefrorenen Kapuze von ihr abgewandt lag, nur eine Seitenansicht, sonst nichts, und das hätte sonstwer sein können. »Komm jetzt, Star«, flüsterte Marco. Dann sah sie eine Haarsträhne, die nicht von der Kapuze verdeckt war, und die hatte endlich die ersehnte Länge, hip, wirklich sehr hip, so hip, wie jeder sie sich nur wünschen konnte, und sie zog sich den Handschuh aus, nur ganz kurz, weil sie die Strähne zwischen ihren fünf nackten Fingern noch einmal

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