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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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der Uferböschung herausragen sehen, als die treibenden Schollen viel Erde mitgerissen und es dabei freigelegt hatten: ein knochengelbes Schimmern im grauen Schwemmland der Kiesböschung. Er wußte sofort, was das war – Charlie Jimmy von der Indianersiedlung am Eagle Creek hatte ihm mal einen gezeigt –, der geschwungene, fein gekörnte Stoßzahn eines Mastodons, völlig intakt, höchstens von der Erde etwas fleckig, aber ein magisches Objekt, ein Zauber, ein Totem, das Ängste vertreiben und Mut beflügeln konnte, bis man eins war mit der Kälte und der Schmelze und dem ewigen Kreislauf des Lebens, das immer wieder verging und neu erstand.
    Er blinzelte in den Fahrtwind und stellte sich das Tier selbst vor, die mächtigen Pfeiler seiner Beine, das dichte rote Fell auf riesigen Flächen von Leder, das polternde, träge Winterleben schattenhafter Mastodonherden, die wie Phantome auf den dichtgestaffelten Hügelrücken und den windgepeitschten Ebenen auftauchten und gleich wieder verschwanden. Aber würde es auch ihr gefallen? Er hatte keine Ahnung. Sicher könnte man etwas daraus schnitzen, Schmuckstücke oder Schachfiguren, irgendeinen Ziergegenstand, aber in seinen Augen wäre das eine Entweihung. Sie könnte es auch mit ins Bett nehmen, als Fruchtbarkeitszauber, aber dafür brauchte sie keinen Zauber, nicht Pamela. Er lachte bei dem Gedanken, und dabei bröckelte das Eis in seinen Mundwinkeln auf.
    Er war spät dran, weil er einen Unfall gehabt hatte, einfach Pech, wie es jeden Winter ein-, zweimal geschah, egal, wie vorsichtig man war. Es war ein Stück hinter dem Unterschlupf am No Name Creek passiert, von wo er sowohl mit den neuen Pelzen von dieser Tour als auch mit denen aufgebrochen war, die er in der Woche zuvor hatte zurücklassen müssen, um Platz für die sterblichen Überreste von Bosky und Pan zu schaffen, die zwei steifgefrorenen Leichen, und ihm war leider bei einem Bach der Irrtum unterlaufen, das frisch überfrorene Eis zu übersehen. Es war ein paar Tage wärmer gewesen und hatte dann wieder harten Frost gegeben, so daß der Bach eine Zeitlang durch die dicke Eisschicht gesprudelt war und beim Zufrieren Schichten gebildet hatte, jedenfalls sackte er mit beiden Füßen bis zu den Waden ein, ehe er es zurück auf die Schlittenkufen schaffte. Er war nicht bis auf die Haut durchnäßt – drei Paar Socken und zwei Filzeinlagen bewahrten ihn davor –, trotzdem gab es keine andere Möglichkeit, als anzuhalten, die Hunde zu versorgen, im Windschatten von ein paar Felsen ein Feuer zu machen und alles wieder zu trocknen.
    Es war nicht weiter schlimm. Nur eben Pech. Und er hatte die Zeit gut genutzt, hatte die Pfoten seiner Hunde nach Eissplittern, Schrammen und offenen Wunden untersucht und sie mit Salbe behandelt, und dann hatte er eine Zeitlang einfach nur unter seiner Plane gelegen und ins Feuer gestarrt, während der Schnee durch die Zweige rieselte und den Himmel auslöschte. Es gab ihm Ruhe zum Nachdenken, denn die vergangene Woche war reichlich chaotisch gewesen, lauter Fragen vom Sheriff und seinem Deputy, eine Runde Drinks im Three Pup zum Gedenken an die beiden Toten, noch mehr Fragen, Formulare, die ausgefüllt werden mußten, das Leben unter Menschen, die Beerdigung. Bosky war erfroren und Pan ebenfalls – nachdem sie etwas so Unsinniges und Gedankenloses getan hatten, daß es nicht mal die Langhaarigen glauben konnten. Oder vielleicht glaubten sie es doch. So was Ähnliches wie Pan war auch mal einem Soldaten im Manöver bei Fort Wainwright passiert, vor drei oder vier Jahren im Winter, der hatte gemeint, er könne auf die Vorschriften pfeifen und sich beim Postenschieben in der frostigen Nacht ein wenig Trost aus dem Flachmann verschaffen. Es war widerlich. Es war jämmerlich. Aber hier oben verunglückten Flugzeuge, und Menschen erfroren. So war das nun mal.
    Was bis auf Sess und Marco niemand wußte: während der Hippie – Pan – tatsächlich schon ein steifgefrorener Leichnam gewesen war, als sie hinkamen, hatte Bosky noch gelebt und geatmet und genug von ihnen wahrgenommen, um seine letzten vier Worte herauszubringen. Es war ein schwieriger Augenblick gewesen. Der Augenblick, auf den Sess seit über zwei Jahren gelauert hatte. Er stand über ihm mit seiner Zweiundzwanziger, knapp davor, abzudrücken – aus Zorn, logisch, den gab es, Haß und Zorn –, aber da war auch noch etwas anderes gewesen, halb Mitgefühl und halb Gewohnheit. Als er den Lauf seines Gewehrs auf Bosky richtete,

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