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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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damit einen Faustkampf unter Hippies in einem halbfertigen Graben auf einer sengendheißen Wiese oberhalb des Russian River kommentierte; nein, dieser Schrei vermittelte Entsetzen, ein wildes Zerren an dem Band, das sich straff zwischen den Polen des Daseins spannt. Der Schrei der Dichterin erhob sich über die Hitze, ein kompakter Laut, und alles erstarrte. Dewey ließ los, Lester zog den zum Tritt ausholenden Fuß zurück. Sky Dog und Alfredo schwangen den Kopf zuerst zu ihr herum und dann zu dem dunklen Waldrand am Ende des Grundstücks. Marco war etwas unsicher auf den Beinen und trieb noch auf der Adrenalinwelle dahin, die sich anfühlte, als würde glühendes Metall durch seine Adern kreisen, jedenfalls drehte sich Marco als letzter um.
    Was er da sah, war Ronnie – Pan –, der aus dem dunklen Tann wankte, und er war in Blut getaucht, das das knallige Licht der Sonne zum Flammen brachte, und über seinen Schultern lag etwas, verschlang ihn geradezu in der glitzernden roten Nässe. Es war – es war ein Lebewesen, oder nein, etwas Totes, ganz ohne Zweifel war es tot. Und es blutete noch. Das Mädchen , dachte Marco, das Mädchen , und es war wohl nicht genug, daß sie es vergewaltigt und gedemütigt hatten, jetzt also auch noch ... Aber das war ja gar keine menschliche Gestalt. Was sah er da? Fell, hellbraunes Fell. Hatte er einen der Hunde umgebracht, oder was?
    »Hey, Leute!« Ronnies Stimme schleppte sich über die Wiese, ganz schwach vor Aufregung. »Wir haben Fleisch !«
    »Fleisch?« fragte Alfredo und ging bereits auf ihn zu – sie alle bewegten sich jetzt auf ihn zu. »Was redest du denn? Was hast du da?«
    Marco kletterte aus dem Graben heraus. Ronnie kam rasch näher, dreißig Meter oder noch weniger, und er torkelte unter seiner Last aus Blut, Fleisch, Fell und Knochen. »Scheiße, was willst du denn? Ich hab ein Reh erwischt!«

6
    So wie einige der Bräute loslegten, war es fast, als hätte er Bambi erschossen oder so, und Merry war die schlimmste – oder nein, Verbie, Verbie war sogar noch schlimmer, als wäre sie nicht die ersten achtzehn Jahre ihres Lebens im Supermarkt durch die Fleischabteilung gewandert und hätte sich nicht Billighamburger und Peperonipizza reingestopft wie jeder andere Teenager in Amerika. Und dann dieser Alfredo mit seinem Fleisch-essen-ist-Mord-Gebrabbel, und wie konnte man ein armes Mitgeschöpf einfach abschlachten und mit einem solchen Karma überhaupt weiterleben und bla-bla-bla . Es war ein Witz, echt, das war es. Dauernd redeten alle davon, zur Natur zurückzukehren, ins einfache Leben, raus aus der Tretmühle, aber wenn sie innerhalb von fünfzehn Kilometern keinen Supermarkt gehabt hätten, wären sie allesamt längst verhungert. Im Fluß gab’s Fische und Wild in den Wäldern, und was machte es schon aus, daß gerade Schonzeit war und daß er mit einem Kitz angekommen war, das ausgenommen kaum vierzig Kilo wog? Es war Fleisch, kostenlos, und es würde für alle auf der Ranch mindestens eine Woche reichen. Erwarteten die denn wirklich, daß man immer nur Sojafrikadellen und überbackene Auberginen runterwürgte? Falafel? Und Tofu-Kebab ? Scheiße, Mann, sie hätten ihm eine Medaille verleihen sollen.
    Tatsächlich verbrachte er den restlichen Nachmittag damit, das Vieh zu häuten und zu zerlegen, eine glitschige und eklige Arbeit, kein Zweifel, und der einzige, der ihm dabei zur Hand ging, war Marco, denn Marco wußte, was genau zurück zur Natur hieß – der ging schon Angeln und Jagen, seit er acht Jahre alt war: Wachteln, Hasen, Eichhörnchen, Entenansitz an einem eisigen Frühmorgen oder stundenlang bis zur Hüfte in einem Bach stehen, dessen Fluten an einem vorbeischossen wie ein Güterzug, und nichts als zwei kümmerliche Babyforellen zum Herzeigen, so daß man nur hoffen konnte, daß die Mutter einen Hackbraten im Rohr hatte. Er hatte das alles erlebt. Genau wie Ronnie damals. Wie Pan . Während also Che und Sunshine in der Nase popelten und ihnen staunend zusahen und die halbe Kommune alles fallen ließ, um vorbeizuschneien und ein bißchen zu meckern, zu kiebitzen und sich vorzustellen, wie ein paar hübsche Rehsteaks brutzelnd auf einem Holzkohlengrill aussehen könnten, zerrte Ronnie in einem dichten Fliegenschwarm die Decke des Rehs in die Höhe – er würde sich eine Wildlederjoppe daraus nähen, vielleicht mit ein paar Fransen dran –, und Marco beugte sich vor, um mit der geschmeidigen Schneide seines Jagdmessers die dünne Faszienschicht zu

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