Drop City
lernte man in den Cafés kennen. Dope gab’s auf der Straße, und wenn die Cafés zumachten, kaufte man sich das pane oder baguette direkt beim Bäcker, der gerade öffnete. So redete Alfredo eine volle Viertelstunde, ohne auch nur Luft zu holen.
Irgendwann, in einer Lücke zwischen Amsterdam und der Place de la Concorde, mischten sich die Krähen ein, ein jaulender Schrei drang aus den Bäumen, als die glänzendschwarzen Vögel auf eine Eule hinabstürzten, die sie an ihrem Schlafplatz aufgestöbert hatten. »Dafür rächen sich die Eulen dann in der Nacht, wenn die hilflos sind, wußtest du das?« bemerkte Marco, froh über die Gelegenheit zum Themenwechsel. »Darum geht’s ja immer nur. Ums Überleben. Und stell dir mal vor – stell dir vor, es gäbe noch eine andere Affenspezies hier, die uns herausfordern würde, und da denke ich nicht an Gorillas oder Schimpansen oder so, sondern an andere Humanoide.«
Alfredo hatte dazu offenbar nichts zu sagen – er glaubte an universale Harmonie und Bruderschaft, vegetarische Ernährung, Frieden, Liebe und Verständnis. Er wollte nichts über den Krieg zwischen Krähen und Eulen wissen, geschweige denn von feindlichen Affen oder der Angewohnheit der Krähen, die Nester von kleineren Vögeln – Sperlingen, Finken und Junkos – zu plündern, um ihre Jungen zu verspeisen. Das hatte nichts mit der Welt zu tun, in der er lebte. »Finster«, das sagte er schließlich. Finster .
Sie gingen wieder an die Arbeit, bis die Alltagsgeräusche von Drop City langsam wieder auflebten: ein Meckern der Ziegen, die gemolken oder gefüttert werden wollten, das durchdringende Bellen eines Hundes, der wohl über den eigenen Hunger staunte, das regelmäßige Schlagen der Fliegengittertür gegen die Hauswand – und über allem lag, wie der Soundtrack bei einem Film, das dumpfe Wimmern von Rockmusik. »Hör zu, ich finde es echt gut, daß du das hier machst«, sagte Alfredo bei einer Pause, in der er den Rücken streckte. Auf seiner Haut klebten feine Schmutzpartikel in einem dichten Pelz aus Schweiß. »Daß du die Initiative ergreifst, meine ich. Ich weiß, du bist erst zwei Wochen oder so bei uns, aber das ist ein echter Trip, Mann, wirklich, das ist es – so was bräuchten wir öfter hier.«
»Klar doch«, sagte Marco, »kein Problem«, und seine Schaufel setzte keinen Moment lang aus. Es fühlte sich gut an, etwas zu tun, sich in etwas reinzuknien, bis ihm nichts mehr den Verstand verstellte. Herumhängen war ja ganz nett. Bis zu einem gewissen Punkt. Im Baumhaus entspannt mit einem Buch liegen war auch nett. Und Dope. Und Frauen. Und Musik. Aber gerade jetzt, in diesem Graben, unter dieser Sonne, war es der Sog des Körperlichen, um den es ihm ging, nur darum.
»Weißt du, ich war auf Thunder Mountain, ich und Reba, das war, bevor wir die Kinder gekriegt haben. Oder nein, Che war vielleicht schon ein Jahr oder anderthalb, weiß nicht genau. Jedenfalls, da lief es am Ende so ab, daß alle immer nur vögeln und sich zukiffen wollten, was völlig okay ist, versteh mich nicht falsch, aber es kam dann so weit, daß sich niemand mehr um den Garten kümmerte oder Essen kochte. Die Frauen, meine ich. Denn die sind der Schlüssel zu allem. Wenn die Weiber die Energie verlieren, dann kommen die Probleme, und zwar gewaltige. Gibt nichts Schlimmeres als einen Riesenstapel von Geschirr, alle Töpfe und Pfannen total verkrustet, und wenn alle nur dumm rumquatschen, dann brechen die Dinge echt auseinander, glaub’s mir.«
Marco erhielt keine Gelegenheit zu antworten, auch wenn er es gewollt hätte, denn als er aufblickte, sah er Sky Dog mit Lester und Franklin im Schlepptau herüberschlendern. Oder nein, das war nicht Franklin – es war der andere, wie hieß er gleich, Dewey, der Kriegsheld. Sie sagten nichts, winkten nicht, lächelten nicht, sie schritten einfach nur heran, langsam und selbstsicher, ihre Stiefelabsätze schleuderten winzige Staubexplosionen in die Höhe. Auch Alfredo sah auf, gerade als die drei das andere Ende des Grabens erreicht hatten und zu ihnen hineinstarrten wie ein Team von Scharfrichtern. Die Redewendung sich das eigene Grab schaufeln zuckte Marco durch den Kopf. Es war offensichtlich kein freudiger Anlaß.
»Hey, Alfredo«, sagte Sky Dog, »ich wollte mal mit dir quatschen.«
Alfredo legte die flache Hand auf den Rand des Grabens und stemmte sich hoch, wischte beide Hände an den Jeans ab und probierte ein Grinsen. »Hey«, sagte er, als wäre er froh, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher