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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ich?«
    Er zuckte grinsend die Achseln und versuchte, nicht allzu selbstzufrieden zu wirken. »Erzähl’s mir«, sagte er.
    »Die Sicherheit. Du mußt dich doch hier unglaublich sicher fühlen, oder?«
    »Klar, solange ich keine Notfalloperationen durchführen muß. Einen Blinddarm rausnehmen zum Beispiel. Meinen eigenen. Oder auch deinen.«
    »Selbst ist der Chirurg, was?« sagte sie, und beide lachten.
    »Oder zahnärztliche Sachen. Stell dir vor, du mußt dir hier selbst einen Zahn ziehen!«
    Sie schwiegen und malten sich diesen speziellen Schrecken aus, dann sagte sie: »Wenn du mir meine ziehst, zieh ich dir deine«, und schon lachten sie wieder. Es war ein Gelächter, das länger andauerte, und als er immer noch kichernd aufstand, um die Teller abzukratzen und zu spülen, bat sie ihn, sitzen zu bleiben und sie das erledigen zu lassen, denn sie sei schon genug verwöhnt worden – wirklich genug. Was glaube er denn, daß er sie von früh bis spät bedienen müsse? »Nein, was ich meinte«, sagte sie, während sie das Geschirr in einem Bottich mit Wasser versenkte, das er auf dem Herd heiß gemacht hatte, »das ist die Sorte Sicherheit, die man in der Stadt nie spürt, jedenfalls hab ich sie nie gespürt. Das war am Ende so schlimm, daß ich nachts nicht mehr rausgegangen bin, jedenfalls nicht allein.«
    Er war ihr nach drinnen gefolgt und saß jetzt auf der Bettkante, drehte sich eine Zigarette und sah ihr zu, wie sie sich zwischen seinen Sachen bewegte. »Stimmt schon«, sagte er, »klar, da hast du recht. Als Frau muß man da wohl besonders aufpassen ...«
    »Als Mann genauso. Die Gesellschaft geht total vor die Hunde, ständig Morde, Drogen unter Schulkindern, Hippies. Ich kenne einen aus dem Büro, der abends immer noch mit dem Hund rausgegangen ist, nichts weiter, nur mit dem Hund vor die Tür. Und weißt du, was dem passiert ist?«
    Sess zündete sich die Zigarette an. »Jemand hat ihn überfallen?«
    »Allerdings. Zwei Typen mit Messern, Langhaarige, und denen hat es nicht etwa gereicht, ihm die Brieftasche zu klauen – nein, sie haben ihm das Messer in die Nase geschoben und das Nasenloch aufgeschlitzt, und das solltest du mal sehen, das ist eine bleibende Entstellung, so wie eine Tätowierung oder so. Und dann der Hund. Er hatte so ein süßes kleines Cocker-Pudel-Mischlingsweibchen – Berenice hat sie geheißen –, und das versuchte ihn zu beschützen, also fielen sie über den Hund her und traten zu, immer wieder, bis praktisch nichts mehr von ihm übrig war. Das meine ich. Das ist aus der Gesellschaft geworden.«
    Er war vom Bett aufgestanden, und jetzt spürte sie seine Nähe auf eine Weise, die ihr eine Gänsehaut versetzte: sein Atem, der Tabakduft, seine Hand behutsam auf ihrer Schulter, seine rauhe Stimme: »Solche Sachen hast du hier draußen nicht zu befürchten. Bären vielleicht. Vielfraße. Aber es gibt Mittel, die zu vertreiben. Glaub mir.«
    Ihre Hände steckten im Wasser, und es war so heiß, daß sie es gerade noch aushielt. »Das meine ich ja«, sagte sie. »Du bist frei hier draußen, und nicht nur frei zu tun, was du willst, sondern auch frei von solchen Sauereien – er war nur mit dem Hund vor der Tür, verflucht noch mal!« Aus irgendeinem Grund stand sie plötzlich kurz vor den Tränen, und sie staunte darüber, wie sie sich dermaßen gehenlassen konnte, dabei war das hier doch genau das, was sie sich ihr ganzes Leben lang gewünscht hatte: dieser Ort, und vielleicht auch dieser Mensch, und der Rest der Welt mit seinen Nasenschlitzern und Hundemördern konnte von ihr aus im Meer versinken.
    »Pamela«, sagte er, »komm, Pamela«, und sie fühlte, wie er ihre Arme aus dem Seifenwasser zog, sie sanft herumdrehte und an sich drückte. »Du brauchst an solche Sachen nie wieder zu denken, dein ganzes Leben nicht mehr.«
    Die Leute meinten ja, sie sei verrückt, weil sie irgendwo am hintersten Ende der Welt leben wollte, zwanzig, dreißig Kilometer entfernt vom nächsten Laden, der nächsten Kirche, Kneipe oder Post, und noch mal zweihundertsechzig vom nächstgelegenen Ort, der halbwegs zivilisiert zu nennen war, falls man Fairbanks diese Ehre zuteil werden lassen konnte. Und noch verrückter fanden sie, daß sie sich irgendeinem struppigen, verdrehten, sexmäßig völlig ausgehungerten Pelzjäger mit frittenfettverklebten Arterien und Gewehren als Wanddekoration ausliefern wollte – mit exakt diesen Worten hatte es Fred Stines ausgedrückt, der Mann, mit dem sie in Anchorage

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