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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Biegung umrundeten und sie hoch über dem jenseitigen Ufer ein Gebäude stehen sah, brach sie verblüfft das Schweigen: »Meine Güte, Sess«, sagte sie und drehte sich zu ihm um, »was ist denn das – ein Blockhaus? Hier draußen?«
    Ja, es war ein Blockhaus. Kein Zweifel. Eingekerbte Stämme, das Blitzen von Fensterglas, die Sonne auf dem Kiel eines umgedrehten Aluminiumboots, das ordentlich an der Vorderseite lag. Die Hütte hatte ein Dach aus Grassoden, und etwa drei Meter lange Bäume sprossen aus ihrem Inneren, als wäre es das Bild eines Hexenhäuschens aus dem Märchenbuch. Sess paddelte einfach weiter, mit dem gleichmäßigsten Schlag der Welt. »Stimmt genau«, sagte er.
    »Hey, daß ich hier in einer Reihenhaussiedlung wohnen werde, hast du mir aber nicht gesagt!« Sie versuchte, einen Ton von amüsiertem Tadel anklingen zu lassen, aber sie war fassungslos, einfach fassungslos, denn was hatte denn das Ganze für einen Sinn, wenn hinter jeder Flußbiegung irgendein Nachbar hauste?
    »Mach dir deswegen keine Gedanken, Pamela«, sagte er, und das Blockhaus entschwand schon aus ihrem Blickfeld. »Da wohnt keiner. Seit über einem Jahr steht es leer.«
    Das Paddel zog durchs Wasser, und sie fühlte es in den Schultern, fühlte sich wieder energisch werden. »Aber wer ...?«
    »Ein alter Knacker, echt ein Original, ein richtiger Spinner von abgerissenem Trapper. Stank immer mächtig nach den Gänseflügeln, die er in Biberschmalz einlegte, um damit Luchse zu ködern – na ja, eben ein Typ, der nur badet, wenn er aus Versehen in den Fluß fällt, was etwa zweimal im Jahr passiert ist.« Er legte eine Pause ein, paddelte aber weiter. »Genau der Typ alter Knacker, wie ich einer geworden wäre, wenn nicht, na, wenn du nicht wärst.«
    Sie ließ die Hoffnungsfreude dieses Satzes kurz auf sich wirken, dann fragte sie: »Aber wo ist er jetzt – ich meine, ist er gestorben?«
    »Ach was, nein – zum Sterben war der viel zu verrückt. Hat sich zur Ruhe gesetzt. Die Schneeschuhe an den Nagel gehängt, seine Goldpfannen zum letztenmal ausgespült und ist nach Seattle gezogen, um mit seinem Bruder in irgendeiner Pension zu wohnen. Weißt schon: Zentralheizung, Farbfernseher, Waschmaschine mit Trockner. Und ein kleiner Streifen Asphalt, um den Pickup drauf zu parken.«
    »Das ist ja schrecklich«, sagte sie.
    »Allerdings«, sagte er, und als sie sich umdrehte, sah sie ihn grinsen. »Gibt nichts Schlimmeres.«
    Dann zogen sie das Kanu auf den Uferkies und marschierten durch ein schweißtreibend dichtes Gestrüpp aus Birken, Espen und Pappeln, zusammengehalten vor allem durch Moskitos, die es in wahren Regimentern durchschwärmten. Sie trug lange Ärmel und Jeans, und sie hatte sich mit Mückenschutz eingeschmiert wie eine Lammkeule mit Fett, aber die Moskitos erwischten sie dennoch an der einen Stelle, die sie vergessen hatte – die Nasenspitze –, und das Herumwedeln wurde zur automatischen Geste. »Noch fünf Minuten«, flüsterte Sess, die Schrotflinte in der Hand und einen Zweiundzwanziger über der Schulter. »Ich führe dich hier zu einer kleinen Seenkette, wo es sogar noch mehr Enten als Moskitos gibt, falls du dir das vorstellen kannst.« Und dann erzählte er ihr, daß die Ureinwohner Alaskas diese Jahreszeit nicht Spätfrühling oder Frühsommer nannten, sondern einfach so – Enten –, weil die dann nämlich zu Tausenden aus dem Süden heraufgezogen kamen, um hier zu nisten und ihre Jungen großzuziehen. Es sei der reinste Geflügelmarkt. Man könne einfach nicht danebenschießen.
    Doch dann waren sie dort, und er schoß doch daneben, dreimal, und der See, der vor vielen Jahren ein Abschnitt des Flusses gewesen war – einen Ochsenbogen nannte man das –, wurde einen Moment lang zum Pandämonium aus schnatternden, flatternden Enten, und dann lag er völlig entenleer da, eine flache, dunkle Wasserfläche ohne einen einzigen Vogel. Sess nahm es sich sehr zu Herzen. Er entschuldigte sich – führte aber keine Ausreden ins Feld, denn so war er nicht. »Warte hier«, sagte er, und sie wartete eine knappe Stunde, während er leise wie ein Windhauch im Unterholz verschwand. Die Moskitos umschwärmten sie, bis schließlich die Stille vom fernen Krachen dreier Schüsse gebrochen wurde, und als er zu ihr zurückkehrte, war er immer noch ohne Ente. Er warf ihr ein gepreßtes Lächeln zu. »Keine Sorge«, sagte er, »wir müssen nur – also, ich sage das ungern, aber wir müssen einfach Geduld haben. Kannst du das

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