Drop City
verstehen, Pamela? Kannst du?«
Sie wollte eben sagen, wie gut sie das verstehen könne, natürlich tat sie das, und daß er sich ihretwegen nicht zu sorgen brauche, doch da bewegte sich das dunkle Wasser vor ihren Füßen, als wäre es zum Leben erwacht, und sie erkannte etwas noch Dunkleres, V-förmiges unter der Wasseroberfläche, worauf er grinste und nach dem Zweiundzwanziger griff, und kurz danach watete er aus dem Schlick, ein tropfendes, nacktschwänziges schwarzes Wesen in der Hand, und sie fragte: »Was ist das, ein Biber?«, und er sagte: »Das ist ’ne Ratte.«
Zum Abendessen hatte sie Hunger, einen Riesenhunger, jede einzelne Zelle schrie nach Treibstoff, und er bereitete ihr ein Moschusrattenfrikassee in einer Sauce aus gedünsteten Dosentomaten mit Reis und Gemüse und einem süßlichen gelben Klecks des Moschusfetts, das der Ehrengast normalerweise unter seinem Pelz trug, während er in den Teichen und Sümpfen der stillen Wälder seinen schlammigen Ritualen nachging. Zum Herunterspülen trank jeder zwei Flaschen selbstgebrautes Bier, das so stark war, daß es sie an die Absturzdrinks im College erinnerte. Etwas Besseres hatte sie noch nie gegessen. Und das sagte sie Sess auch, als sie grinsend auf dem Bett saß, während er das Geschirr abwusch. »Ich bestehe darauf«, sagte er, »schließlich hast du heute morgen gespült, also ist das nur fair.« Danach holte er seine Mundharmonika und sang ihr ein Ständchen, und am Ende versuchten sie sich gemeinsam sehr harmonisch je dreimal hintereinander an »Oh, Susannah«, »You Are My Sunshine« und »She Loves You (Yeah Yeah Yeah)«.
Es war nach Mitternacht, und sie waren beide vom Singen, vom Bier und vom Gefühl des Zusammenseins angetütert, das sie immer wieder von neuem in gute Laune versetzte, als sie irgendwann sagte: »Also, erzähl mir mal von Jill.«
Die Stimmung gefror schlagartig. Er führte gerade sein Bier zum Mund und hatte eine Geschichte über die Nacht im vergangenen Winter beendet, in der das Thermometer auf minus fünfzig gefallen war und er das Spülwasser vor die Tür kippen wollte, aber es war schon gefroren, bevor es auf dem Boden auftraf, und machte dabei ein Geräusch wie Glasmurmeln, die aus einem Säckchen prasselten, jetzt aber ließ er das Bier sinken und sah an ihr vorbei zu dem kleinen Fenster hinaus. »Davon willst du nichts hören«, sagte er.
»Doch«, beharrte sie. »Will ich.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Nichts, was du wissen müßtest.«
»Ich weiß ja noch gar nichts«, sagte sie, und dann, um aufrichtig zu sein, denn sie hatte sehr wohl schon mindestens drei Versionen der Geschichte gehört, wobei die bedrückendste und für Sess nachteiligste von den Lippen des parteiischen Howard Walpole wie ätzende Säure getropft war, fügte sie hinzu: »Jedenfalls fast nichts.«
»Sie war überhaupt nicht wie du«, sagte er seufzend. Er stand vom Tisch auf, nahm die Petroleumlampe vom Haken und zündete sie an. Alle seine Muskeln schienen in den Nacken gewandert zu sein, hart und angespannt hoben sie sich unter der Haut ab. Seine Miene war unruhig.
»Los doch«, sagte sie. »Ich möchte es hören.«
Jill war jung gewesen, erst einundzwanzig, und er ebenfalls – achtundzwanzig damals, und das lag drei Jahre zurück. Er traf sie in Fairbanks, als er im Winter in einer Bar zapfte, nachdem er einen Sommer im Wald als Feuerwehrmann gearbeitet hatte. Damals trank er zuviel, schlief zuwenig, wohnte in einer Stadt, die wie alle anderen Städte war, und er kam kaum je raus zum Angeln am Chena oder Nenana. Er wußte nicht genau, was er wollte. Jill war eine Collegestudentin, oder sie war es gewesen, bevor sie ihn kennenlernte und prompt die University of Alaska verließ, und danach brachten sie den Rest des Winters damit zu, im Bett herumzukugeln und sich über die Landschaft zu unterhalten und darüber, sich von allem loszulösen und als freie Menschen zu leben.
Sie ging mit ihm, gleich nach dem Frühjahrstauwetter, in das Blockhaus, in dem sie jetzt waren, ja sie half ihm sogar dabei, es zu bauen. Keiner von beiden verstand sein Handwerk, aber sie lernten aus ihren Fehlern, und sie hatten einen Lebensmittelvorrat aus dem Laden eingebunkert, der sie durch die ersten Monate brachte, bis sie wieder selbst angeln und Gemüse anbauen und jagen konnten – Fünfundzwanzig-Kilo-Säcke mit Reis, Linsen und Mais, Butter in Riesendosen, geräucherten Fisch und so weiter. Und das war auch gut so, eine Zeitlang. Nur war
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