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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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halbes Dutzend Mal in voller Länge aus dem Wasser sprang. Vielleicht vergaß er sie etwa fünf Minuten lang, während er das Vieh aus dem Wasser zog, diesen langen, um sich peitschenden Muskel, doch dann dachte er wieder an sie, als er das Messer aus der Scheide zog, zwischen den Augen des Hechts ansetzte und hineintrieb, bis der Muskel erschlaffte.
    em Abend genehmigte er sich zwei Bier, fütterte die Hunde und legte hinten im Garten ein paar Karnickelschlingen aus, wo er Losung gefunden hatte. Es war warm, deshalb zündete er kein Feuer an. Zum Essen gab es kalte Bohnen und steinharte Kekse, von denen die Mäuse schon die Ecken angeknabbert hatten – den Geruch von bratendem Fisch in der Pfanne hätte er nicht vertragen. Mitten in der Nacht weckte ihn hektisches Gekläffe, und er trat im fahlen Zwielicht der dritten Morgenstunde mit dem Gewehr in der Hand auf die Veranda hinaus, von wo aus er einen verdutzten Elch entdeckte – eine alte Kuh, hellbraun und gut dreihundertfünfzig Kilo schwer, schätzte er –, mitten in seinem Garten, die Beine ragten wie junge Bäume aus dem schwarzen Plastikfolienmeer heraus. Sein erster Impuls war, sie abzuschießen, doch er beherrschte sich. In der Entenzeit schoß man einfach keine Elche, das tat man erst im Herbst, wenn das Fleisch sich auch länger hielt. Ganz abgesehen davon war jetzt Schonzeit, und das Land deckte gerade den Tisch für das Bankett aus Enten und Gänsen und Lachsen und süßen Beeren, das den ganzen Sommer währen würde. Was machte er also? Er vergeudete eine Patrone und verscheuchte die Elchkuh in der Hoffnung, daß sie diesen Ort fortan meiden würde wie der Teufel das Weihwasser. Jedenfalls bis zum Herbst.
    Am Morgen brachte er den Ofen in Gang, um sich Kaffee zu kochen und zwei in Mehl und Semmelbrösel gewendete Hechtfilets in einer Pfanne voll spritzendheißem Fett zu braten, und kauerte sich in die Tür das Blockhauses, wo er Moskitos erschlug und zusah, wie sich die Regenwolken über dem Fluß zusammenballten. Er fühlte sich irgendwie komisch, und das hatte nichts mit der Sauftour von neulich zu tun. Es hatte mit Pamela zu tun. Eine kaum spürbare weibliche Aura haftete noch den Pelzen des Betts und den Gerüchen des Hauses an, und wenn er über die Schulter dorthin blickte, wo sie noch vor zwei Tagen am Morgen gesessen hatte, konnte er sie beinahe vor sich sehen. Pamela. Sie gehörte zu ihm, da bestand kein Zweifel. Du hast überhaupt nichts zu befürchten, Sess , das hatte sie doch zu ihm gesagt? Doch dann stieg Howard Walpoles grinsendes plattes Gesicht vor ihm auf, als Überblendung auf Richie Olivers feierlich-bärtiges Antlitz: und wenn sie ihn nun angeschwindelt hatte? Ihn nur besänftigen wollte? Wenn sie einfach nur höflich zu ihm gewesen war?
    Ehe er wußte, was er tat, war er wieder auf dem Fluß, warf das Kanu in die Strömung, trieb flott dahin, die nahe Uferböschung rauschte an ihm vorbei, und der Wind pfiff ihm ins Gesicht. Howard Walpoles Haus lag unterhalb des Orts, kurz vor der Einmündung des Junebug Creek, etwas abgesetzt ragte es von einer Steilküste auf und bot volle einhundertachtzig Grad Ausblick über den Fluß. Schlimmer noch, es konnte mit Doppelfenstern aus Isolierglas aufwarten, die Howard sich aus Oakland, Kalifornien, hatte kommen lassen und aus denen er vom Frühstück bis zum Abendessen problemlos alles im Auge hatte, was sich am Ufer oder auf dem Wasser bewegte, und Howards guter 7 × 42-Feldstecher aus Armeebeständen hing immer griffbereit. Daran dachte Sess, als der Regen einsetzte und der Wind ihm Gesicht und Hände mit kalten, stechenden kleinen Geschossen belegte, die weniger wie Regen und viel eher wie Hagel wirkten, nur wollte er das gar nicht wissen. Er dachte immer nur an Pamela und hielt sich in Ufernähe, wo ihn der Wind nicht ganz so leicht aufspüren konnte.
    Es wäre eine unglaubliche Blamage – eine unsägliche, nicht auszudenkende Schande – für ihn, auch nur im Umkreis von fünfzehn Kilometern von Howards Haus gesehen zu werden, eine Geschichte, die er in tausend Jahren nicht ungeschehen machen könnte. Falls ihn jemand da draußen entdeckte – Howard zum Beispiel oder Pamela –, müßte er aus Alaska verschwinden und sich ein Zimmer suchen, irgendwo in einem heruntergekommenen urbanen Dschungel wie Cleveland oder Brooklyn oder einem ähnlich gottverlassenen Ort, wo ihn der Tratsch darüber nicht erreichen konnte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr, und während sich der Vormittag

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