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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zum Nachmittag berichtigte, glitt er am anderen Ufer und in einem schweren Schleier aus schlechtem Wetter an Boynton vorbei.
    Er wußte nicht, was er da tat, hegte weder Plan noch Hoffnung. Allerdings hatte er seinen eigenen Feldstecher dabei, und er war besser auf dem Fluß und im Wald als die meisten anderen in Alaska, bis auf ein paar alte Hasen, aber die waren langsam zu alt, um noch wirklich gut zu sein. Als er an Ogden Stumps Anglercamp vorbeikam, das um diese Jahreszeit noch leerstand, war er sich darüber klar, daß ihn die nächste Flußbiegung in Sichtweite von Howard Walpoles Haus bringen würde, also bremste er mit dem Paddel und hielt sich uferwärts. Das Kanu brauchte er eigentlich nicht zu verstecken, tat es aber dennoch – was wäre, wenn Howard sie zufällig gerade für eine Spazierfahrt auf den Fluß mitnahm oder jemand hier Treibholz sammelte und es entdeckte? –, dann machte er sich entlang des schlammigen Ufers auf, in der einen Hand sein uraltes Springfield-Gewehr (um Bären abzuschrecken, nur dazu), in der anderen den Feldstecher.
    Es regnete jetzt heftig, so heftig, als würden die Menschen Wasser atmen und keine Luft, und Sess trug zwar seinen olivgrünen Poncho und unter der Kapuze noch eine Baseballkappe, aber von der Hüfte abwärts war er bis auf die Haut durchnäßt. Und er zitterte, zitterte jetzt schon, und er konnte unmöglich hier in der Nähe ein Feuer anzünden, ohne daß Howard Walpole gleich auftauchen würde, um sich Hände und Füße zu wärmen, ein bißchen übers Wetter zu quatschen und ihm ein Stückchen Fleisch für den Spieß anzubieten und dann die durchtriebene Bemerkung einzuflechten, daß Sess ja wohl recht weit weg von seinem Heimatrevier sei, oder? Also zitterte er und schlich näher heran, hielt sich immer im dichten Gestrüpp der Uferböschung, ging auf einem Wildpfad, den in der ganzen Zivilisationsgeschichte noch kein Mensch je benutzt hatte, jedenfalls nicht seit dem letzten Frost. Er sah die Spuren von Elch, Schwarzbär, Marder und Wolf. Der Regen fiel stetig, von den Blättern troff es nur so herab.
    Als er nur noch hundert Meter vom Blockhaus entfernt war, ließ er sich nieder und robbte auf dem Boden weiter, denn es wäre keine gute Idee, wenn ihn Howards Hunde bemerkten. Das Robben tat ihm gut, schließlich erinnerte es ihn an die Pirsch auf Rehe, wie er sie als Junge in den überwachsenen Waldbrandgebieten am Fuß der Sierras öfter unternommen hatte, außerdem bekamen so seine Ellenbogen die Gelegenheit, ebenso naß wie die Knie zu werden. Nach fünfzig Metern nahm er Deckung hinter ein paar mächtigen Preiselbeersträuchern und hob den Feldstecher an die Augen, dabei fühlte er sich nicht im geringsten billig oder erbärmlich. Er fühlte sich überhaupt nicht wie ein hoffnungsloser, kläglicher, unmännlicher Spinner und Voyeur. Er doch nicht. Nein, er fühlte sich eher wie – na ja, wie ein Antiterrorkämpfer, das war’s. Ein Dschungelkämpfer bei einem geheimen und lebenswichtigen Einsatz, von dem das Wohlergehen des ganzen Landes abhing, ganz zu schweigen von einem höchst speziellen Stück Land mit gepflegtem Wildgarten an der Mündung des Thirtymile River.
    Das einzige Problem: es war niemand zu Hause. Zumindest sah es so aus. Aus dem Winkel, den er sich gewählt hatte, spähte er aufwärts in das Ostfenster des vorderen Zimmers, quer durch ein seltsam leeres Stück Raum, und zu den Südfenstern hinaus. Alles war ganz still, bis auf das Zischen des Regens. Die Hunde kauerten sich an ihren Ketten zusammen, tief vergraben in den Miniatur-Blockhütten, die Howard für sie gezimmert hatte. Sess beobachtete die Fenster, und dann betrachtete er die Hundehütten, er betrachtete die finsteren, heruntergezogenen Gesichter der Hunde selbst, ein Eichhörnchen, einen Zaunkönig, und er sah zu, wie der Regen in einer endlosen grauen Abfolge einzelner Tropfen von der Dachtraufe hinunterrann.
    Wo konnten sie nur sein? Weder aus dem Ofenrohr noch aus dem Kamin rauchte es, nichts bewegte sich, kein Geräusch. Howards Boot lag am Ufer, sein Wasserflugzeug war ebenfalls da. Waren sie etwa zu Fuß unterwegs? Schliefen sie? Im Bett? Das war eine Möglichkeit, die er nicht näher erwägen wollte – er bekam Darmrumoren, wenn er sich das nur vorstellte –, doch diese Möglichkeit entwickelte sich zur Gewißheit, je später es wurde. Sie lagen miteinander im Bett. Und vögelten. Genau, das war’s. Sie vögelten miteinander, und sie hatte ihn angelogen, denn Howard

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