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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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blieben still. Schlimmer noch: sie lagen reglos im Gestrüpp, die Ketten wie Schlingen um ihre Kehlen. Und als sie und Sess endlich dort waren, als sie das Kanu an Land gezogen hatten und völlig außer Atem die Uferböschung hinaufsprinteten, da waren ihre Kadaver schon steif mit diesen zerfetzten dunklen Öffnungen, in die die Kugeln sich eingenistet hatten.

Teil III
MITTSOMMERTAG
    One pill makes you larger,
    And one pill makes you small.
    And the ones that mother gives you
    Don’t do anything at all.
    Grace Slick: »White Rabbit«

11
    Star hatte kein Mantra für diesen speziellen Morgen, keine Nonsens-Silben oder Liedtexte rasten ihr im Kopf herum, während in den Fenstern über der Spüle die Sonne sang und zweiunddreißig schaumig geschlagene Eier in der Pfanne blubberten. Oder in den Pfannen. Vier Stück waren es, gußeisern und alle kohlschwarz – vier Pfannen, vier Gasbrenner, alles etwas störrisch. Plakate kletterten die Wände hinauf: vier Beatles, drei Youngbloods, fünf Rolling Stones. Basilikum, Rosmarin, Estragon und Zitronengras. In Tontöpfen. Ein mächtiger Schwall von Grün. Sie zerkrümelte in jede der Pfannen etwas Ziegenkäse, intensiver Duft stieg auf, der Pfannenheber war in voller Bewegung, umdrehen und rühren, umdrehen und rühren. Neben ihr war das Hackbrett, und an diesem Morgen glänzte es feucht von den Rückständen der Tomaten, Peperoni und Zwiebeln, die sie und Merry gewürfelt hatten, während Lydia Orangen preßte und Maya die Kekse aus dem Ofen holte. Auf dem Tisch stapelten sich die Blechnäpfe, und das Besteck erwartete den Ansturm der Esser in zwei großen Plastikeimern, die früher Blue-Bonnet-Margarine enthalten hatten. Als Servietten gab es eine Küchenrolle, genau wie im Camp Minewa, wo Star als Kind in den Ferien gewesen war.
    Zahlen waren sehr wichtig an diesem Morgen, so war das eben – sie stand auf Zahlen: zwei Hunde auf dem Boden ausgestreckt, vier Frauen in der Küche (und sie würde sie bestimmt nicht Bräute nennen, es war verniedlichend und demütigend, ganz egal, was Ronnie sagte), zwei Ziegen unter dem Baum, dreiundvierzig Leute, die auf ihr Frühstück warteten, eine Sonne, fett und strahlend, die das schwarze Gitter der Fliegentür verzauberte. Sie rührte Rührei, eine Pfanne, zwei Pfannen, drei Pfannen, vier Pfannen voll, der Zwiebelgeruch wetteiferte mit dem der Kekse, bis die ganze Küche davon erfüllt war und Jiminy den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Schon fertig?« wollte er wissen. »Noch eine Minute«, sagte sie, und sie genoß es, diesen Ort und diesen Moment, mehr als sie je etwas im Leben genossen hatte, »sechzig klitzekleine vertickende Sekunden – kannst sie schon mal an den Fingern abzählen.«
    Zu Merry, die neben ihr werkelte, sagte sie: »Freaks und Bräute, wer hat sich das bloß ausgedacht? Klingt doch total albern, oder? Also, Freaks sind doch eigentlich etwas Merkwürdiges, die sind mißgestaltet und ...«
    »Launisch?« schlug Merry vor und beugte sich grinsend zu ihr, in der Hand den primitiv gedrehten, in der Mitte zu dicken Joint. Sie hielt ihn Star an die Lippen, während Star mit dem Pfannenheber hantierte und ihre Rühreier versorgte. »Brüllen dauernd herum? Ziehen eigenartige Grimassen? Kratzen sich ständig überall?«
    »Genau das meine ich. Und Freaks klingt schon komisch, aber was sind dann Bräute? Aufgetakelte Dinger, die sich ganz langsam bewegen müssen.«
    »Aber hübsch, oder?«
    »Ich will nicht hübsch sein.«
    Merry schnitt Brot in dicke Scheiben. Ihr Haar hing über die Hände fast bis zum Schneidbrett, und sie warf es mit einer heftigen Bewegung zurück. »Wie willst du denn dann sein – hart?«
    Die Rühreier glitten aus den Pfannen in zwei geriffelte Keramikschalen, liebevoll gestaltet von Harmony und Alice, den beiden Cheftöpfern von Drop City. Star hob das Gesicht aus dem wirbelnden Dampf und rief: »Es ist fertig!«, dann wandte sie sich wieder Merry zu. »Ja, klar – mit hart könnte ich leben. Ist jedenfalls um Längen besser als hilflos. Oder aggressiv vielleicht. Aggressiv ist sogar noch besser.«
    »Wie ein Freak?«
    Das war nun zuviel, und sie mußten kichern und sich die Augen und die plötzlich juckenden Nasenspitzen reiben, während sie Rührei servierten, als erstes für Jiminy und dann für alle übrigen Brüder und Schwestern, ganz Drop City samt etlichen Gästen defilierte vorbei, Blechnapf in der Hand. Jiminy war meistens der erste in der Schlange, weil er immer den größten Hunger

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