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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hatte, er war abgemagert wie ein Überlebender der Konzentrationslager, aber er konnte mehr essen als irgendwer, den Star je getroffen hatte, einschließlich ihres Bruders Sam, der im Footballteam der Highschool im Angriff gespielt und Schuhgröße neunundvierzig hatte. Die nächsten in der Schlange waren ihr völlig fremd, und dann kamen Reba und Alfredo und ihre Kinder, Reba sah verkniffen und alt aus im Morgenlicht, ihre Haare erinnerten an vertrocknetes Kraut, die Augen waren stumpf. Wenn sie lächelte – aber momentan lächelte sie nicht, und ihre Lippen waren zwei Hautlappen, die sich aufeinanderpreßten –, wurden ihre Augen von einem ganzen Flußdelta tief eingegrabener Furchen und Falten verschlungen, als hätte sie ihren Frohsinnsquotienten bereits aufgebraucht und müßte von jetzt an für jeden Lacher zahlen. »Che mag keine Eier«, verkündete sie. »Ich glaube, weil er allergisch gegen Albumin ist. Vielleicht gibst du mir lieber etwas Toast, und ich schmiere Honig drauf oder so.«
    Che stand neben ihr und wirkte total weggetreten: dreckiges T-Shirt, dreckige Füße, ein strubbliges sonnengebleichtes Haarbüschel, dazu Augen wie Leuchtpunkte auf einem Radarschirm. »Möchtest du das gern, Baby?« fragte Reba und beugte sich zu ihm hinab. »Toast mit Honig?«
    » Ich will Honig«, meldete sich Sunshine, und ihre Stimme klang, als ob man Schorf abkratzte, leise und rauh, ohne wahre Hoffnung auf Genesung. Sie war drei Jahre alt. Sie stand dicht hinter ihrem Bruder, so dicht, daß die Wölbung ihres nackten Bäuchleins den Saum seines Hemds berührte. Der Blick ihrer glänzenden Augen war sanft und mutlos. Star versuchte ihr zuzulächeln, denn das tat man doch wohl, wenn man einem Kind begegnete – Ist sie nicht süß? Oder ist es ein Er? Oder ein Es? –, aber eigentlich fühlte sie sich in Gegenwart von Kindern immer verlegen und unsicher. Aber wie sollte sie, eine Frau, anderen Leuten erzählen, daß sie keine Kinder haben wollte, nichts für sie empfand, sie im Grunde überhaupt nicht mochte? Was sie anging, waren Kinder nur ein Klotz am Bein, puterrote, greinende kleine Außerirdische, die einem das Leben heraussaugten, und wenn eine Frau je von einem eigenen Leben geträumt hatte, so konnte sie das getrost vergessen, sobald sie Kinder bekam, denn von da an und für alle Zeiten war sie immer nur die Mutter von irgendwem. Was war denn so schlimm an Verhütung? Der Pille? Man konnte herumvögeln, was das Zeug hielt, nur die kleine Pille am Morgen durfte man nicht vergessen. Star kapierte es nicht. Sie kapierte es einfach nicht.
    Jedenfalls probierte sie ein Lächeln, und Reba warf ihr einen genervten Blick zu, ehe sie zu ihrer Tochter herumfuhr und sie am Oberarm packte, mit zwei harten Fingern wie mit einer Zange, genau wie Stars Mutter, genau wie jedermanns Mutter, und das versetzte sie in die Vergangenheit, als wäre sie in einem Familienfilm auf Super 8 gefangen. »Du ißt jetzt deine Eier und führst hier keinen Tanz auf, weil ich nämlich darauf echt nicht scharf bin heute morgen«, zischte Reba, »und ich sage dir ...«
    Die Kleine, Sunshine – die blieb gelassen stehen und schien von der unausgesprochenen Drohung nicht im mindesten berührt. Ihr Bruder verfiel sichtlich und war mächtig bedrückt von der frühen Stunde, dem seltsamen Ort und dem Leben auf diesem angetörnten Planeten, und Sunshine sah ihn an, als würde sie ihn gar nicht erkennen. Mit ihrem kratzigen Stimmchen sagte sie: »Ich will Saft.«
    »Milch«, korrigierte Reba automatisch. Weiter hinten in der Schlange schwebten die Leute auf ihren eigenen Planetenbahnen, überall Glöckchen, Perlen, morgendliche Witzeleien, sanft beschwingte Rhythmen, aber auch dort fragte man sich allmählich, warum es nicht voranging.
    Das dünne Stimmchen: »Saft.«
    Nun aber schaltete sich Star ein, weil sie den Saft – nun ja, es war der Tag der Druiden, das Fest der Sommersonnenwende, und den Orangensaft, frisch gepreßt von Lydia und so rein und süß und organisch-gesund wie sonst nichts im sonnenbeglückten goldenen Staat Kalifornien – zur Feier des Tages mit LSD versetzt hatten, mit Lysergsäurediäthylamid, denn heute würden alle Bewohner von Drop City mit ihrem inneren Selbst in Kontakt treten, allesamt, um in einer konzertierten Anstrengung die Bewußtseinsebene des Planeten um den Bruchteil eines Grades anzuheben. »Aber Kleines, der Saft ist heute nicht gut, der wird dir nicht schmecken ...«
    Das nackte Mädchen stand da, die

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