Drop City
pflügte über eine offene Wiese, weil er meinte, sich irgendwie beruhigen und das tun zu müssen, was die Menschen in solchen Situationen von einem erwarteten – die Panik abschütteln, aufwachen, Verantwortung übernehmen –, aber die Droge gestattete es ihm nicht. Sie steckte in seiner Kehle, in seinem Kopf, erdrosselte sein Herz, zerfraß seine Lunge.
Es war niemand auf der vorderen Veranda, niemand im großen Wohnzimmer. Nur die Musik war da, spielte ganz für sich, schroffe Töne, ein metallisches Krachen wie eine Marschkapelle, die eine Treppe hinunterstürzte, und wieso erkannte er die Melodie nicht? Er sah halbleer gegessene Teller auf Armlehnen herumstehen, noch feuchte Eßstäbchen ragten wie bösartige Insekten aus einem Gemenge von Reis, Bohnen und Tofu; er sah Plattenhüllen auf dem Boden herumliegen wie vom Winde verwehter Unrat, und in der hinteren Ecke, auf dem Bücherregal, drehte sich der glänzendschwarze Teich einer Schallplatte auf dem Plattenteller. Es war sehr seltsam, die Musik lebte ihr eigenes Leben in einem Haus ohne jeden menschlichen Bewohner. Wie in einer Gespenstergeschichte. Einem Märchen. Niemand zu Haus, und der Brei noch warm auf dem Tisch. Der Versammlungsraum bot einen ähnlichen Anblick. Ebenso die Küche. Er blickte auf, und da starrte vom Kühlschrank der massige Kopf des orangefarbenen Katers zu ihm herab.
Und dann, durch die Musik hindurch – wie Perlenfäden hineingewirkt –, hörte er Stimmen im Garten hinterm Haus, ein Klagen, wieder Stille, und dann flehendes Rufen, das sich wiederholte: Klagen, Stille, flehende Rufe. Er schob sich durch die Fliegentür, und da waren sie, die gesamte Sippe, versammelt um den Swimmingpool und um etwas, was aussah wie eine sehr nasse Stoffpuppe, die auf dem gefliesten Beckenrand ausgestreckt lag. Das Acid ließ ihn lange genug los, um die Szene aufzunehmen: es war eins der Kinder, eins von Rebas Kindern, und Jiminy bearbeitete seinen Brustkorb wie ein Sanitäter der Marineinfanterie in den Abendnachrichten, und alle anderen rangen die Hände und hüpften immer wieder in die grünliche Brühe des Pools hinein. Marco sah Ronnie tief Luft holen und untertauchen, dann schoß Alfredo in einem Mahlstrom von Haaren an die Oberfläche. »Was ist denn los?« wollte Marco wissen und packte den ersten bei der Hand, den er erwischte, aber er war noch so voll von Norm und dem Unfall, daß er ihn nicht erkannte, nicht sofort jedenfalls.
»Das ist Che«, antwortete Merry. Ihr Oberkörper war nackt, und sie zitterte. Sie war überall bunt bemalt, rote und blaue Schlingen liefen über ihre Gliedmaßen wie gedunsene Adern. Ihre Augen saßen nicht richtig im Kopf – sie trieben eher mehrere Zentimenter links von ihrem Gesicht umher. »Er ist ertrunken, reingefallen oder sonstwas, und wir finden einfach – ich meine, keiner weiß, wo Sunshine geblieben ist!«
Ein Schrei zerriß die Luft, der Alptraum jeder Mutter. »Sunshine!« heulte Reba und zog die zweite Silbe in die Länge. »Sunshine! Komm raus, Kleines, komm wieder raus! Das ist nicht lustig!« Sie stob durch den Garten, schlug wild mit den Händen auf das vertrocknete Gestrüpp ein. Sie war fuchsteufelswild und stand kurz vor dem Siedepunkt. »Das ist kein Spiel. Komm jetzt raus, verdammt noch mal! Komm raus, hast du gehört, du kleines Biest!«
»Im Pool ist sie nicht«, sagte jemand, und in dem Chaos konnte Marco nicht sehen, wer es war.
»Der Fluß, was ist mit dem Fluß?« Er blickte auf und nahm Verbie wahr – sie saß auf dem nassen Rand des Schwimmbeckens, geweitete Pupillen, das Haar klebte ihr am Kopf. »Hat schon jemand am Fluß nachgesehen?«
Hilflosigkeit erfaßte die Menge: verlorene Blicke, aufgerissene Münder, zuckende Schultern, fuchtelnde Hände, und wie hätte man von irgendwem erwarten können, an diesem Tag so etwas anzupacken? Es war das Mittsommerfest. Sie waren total weggetreten, allesamt. Sie wollten keine Kinder retten, sie wollten Kinder sein . »Was meinst du mit dem Fluß?« fragte Merry laut.
»Ich meine eben den Fluß .« Verbie riß die Arme hoch, als hätte sie auf einer Bühne eine Kugel abbekommen. »Sie könnte ertrunken sein. Da unten, meine ich.« Bis hierhin war sie gut unterwegs gewesen, jetzt aber stockte sie. Sie sah ihre Schwester an, dann Marco. »Also, oder?«
In diesem Moment erschien Star und teilte die Menge wie eine Prophetin, rasch ging sie mit steinernem Gesichtsausdruck barfuß über die Fliesen, ihre nackten Arme und Beine steckten
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