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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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irgendwo in einer Mietwohnung, und das Zimmer war vollgestopft mit geerbten und angesammelten Sachen: Sideboards, Polstersessel, eine Kommode, Steppdecken, Sofaschoner, Nippesfiguren, Ramsch. Es stand ein Bett in dem Zimmer – ein wuchtiges Himmelbett, auf dem sich die Decken nur so türmten –, und in dem Bett lag ein alter Mann, bleich, ausgezehrt, und die Nase ragte ihm aus dem Gesicht, als gehörte sie gar nicht dazu. Es war eine sehr konventionelle Szene, ein Sterbezimmer, irgendeines Menschen Zukunft oder Vergangenheit, äußerst konventionell, bis auf eine einzige Ungereimtheit: von der Wand über dem Bett hing ein Paar Schneeschuhe herab. Der bewußte Rest seines Verstandes hielt ihn zurück: War das ein Foto, das er irgendwo gesehen hatte? Eine Kindheitserinnerung? Aus dem Fernsehen? Oder war er einfach aus seinem Körper getreten und jetzt außerstande, wieder zurückzukehren? So war das eben bei Acid. Er mochte Acid nicht, hatte es nie gemocht, auch als er noch viel mehr auf Drogen stand als jetzt.
    Norm murmelte etwas – unsinniges Gebrabbel? Oder nein, er sang, sehr leise und brummig, ein Lied wie in einer Privatsprache –, und da waren sie wieder, fuhren unter den Bäumen entlang, dann unter freiem Himmel, bewegten sich durch die Welt der Sinne, als wären sie ihre Eigentümer. »Spürst du schon was?« wollte Norm wissen. »Also, ich spür nämlich noch gar nichts, oder vielleicht gerade mal den Anfang von etwas, aber eigentlich frag ich mich, ob die wohl vergessen haben, uns Saft in unseren Saft zu tun, oder was?«
    Marco wollte ihm sagen, daß er jedenfalls eine Menge spürte, sich beinahe schon besessen vorkam, innerlich aufgestaut und angespannt, doch er bekam keine Gelegenheit dazu – eine neue Vision sprang vom Straßenrand auf und warf sich vor den VW-Bus, ein massiger dunkler Schemen in voller Bewegung, und das war keineswegs Halluzination, sondern ein höchst reales und tatsächliches Ding, das Norm unvermittelt die Hände heftig ums Lenkrad krallen ließ und seine Absichten ernsthaft durchkreuzte. Was war das? Das Pferd. Charley Horse. Das Tier erhob Anspruch auf den Verkehrsraum und schüttelte dümmlich den Kopf, während Norm hilflos am Lenkrad kurbelte und der VW-Bus eine Art Zirkustrick vollführte und auf zwei dünnen Reifen balancierte.
    Die Straße besaß zwei Spuren und wurde damit zusehends zum Ballungsort zerstörerischer Kräfte, denn Norms dahintänzelnder Bus steuerte rasend schnell auf denselben Punkt zu wie ein entgegenkommender Pickup, in dem nun zwei entsetzte Gesichter, das eines Mannes und das einer Frau, erkennbar wurden. Donner und Blitz: der VW-Bus schleuderte unsanft nach links, und rechts sah Marco das Pferd immer größer werden, bevor er den Ruck der ersten Kollision fühlte, der das Tier durch den Anprall einer stählernen Riesenhand von den Hufen fegte, und dann den zweiten, stärkeren Aufprall, bei dem das Kreischen von mißhandeltem Metall zu hören war. Der Pickup – am Steuer saß ein alter Mann mit Schirmmütze, dessen Gesicht zu einem tiefen Loch voller Empörung verfallen war – erwischte den Bus längsseits an der Beifahrertür, schüttelte sich dann los und rutschte weiter in einen Baum, in mehrere Bäume, und inzwischen verlor das Pferd das Gleichgewicht, fand es aber wieder, während Norms VW-Bus nach dem Zusammenprall einen langsamen, weiten Bogen beschrieb und in der Straßenmitte zur Ruhe kam.
    »Okay«, sagte Norm, »okay, alles okay«, als hätte er alles genauso geplant, als wäre das Ganze nur ein nettes Bravourstückchen, das er inszeniert hatte, um den Tag ein bißchen aufzupeppen. Er blutete aus einer Platzwunde an der Braue, ein grellrotes Reservoir von Blut sammelte sich in seiner Augenhöhle, ehe es in den Bart hinabtroff. Der Steg seiner Brille war zerbrochen, und die Windschutzscheibe zeigte jetzt ein spinnennetzartiges Mandala, das wie ein Ornament im Glas prangte – wie schlau von diesen deutschen Konstrukteuren, dachte Marco, wirklich schlau, aber sollte er nicht auf seiner Seite auch eins haben?
    Marco war in Ordnung, jedenfalls hatte er den Eindruck. Kein Blut, nichts gebrochen. Seine rechte Schulter fühlte sich etwas steif an, weil er damit dreimal in rascher Folge gegen das Armaturenbrett geknallt war, und das LSD kochte in seinen Adern und knisterte ihm in den Ohren, aber ihm fehlte nichts. Also schön, dann raus aus dem Wagen – die äußerst widerspenstige Tür aufgetreten, beide Füße auf die Fahrbahn gestellt, die

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