Drop City
sich fast überhaupt nicht bewegte. Das Pferd – Charley Horse – stand da, am ganzen Körper zitternd, als hätte man es mit Eiswasser begossen, Norm saß am Lenkrad seines Busses wie ein Denkmal, und der alte Mann – samt seiner alten Frau – hockte irgendwo im Wald mehrere Meter abseits der Straße. Alles war still.
Bis der nächste Wagen – ein Monster von Gefährt, ein Buick, oder vielleicht war es ein Pontiac, hinten schwer belastet durch ein blaugeflecktes Motorboot auf dem Anhänger – reifenquietschend aus der Kurve schoß und Charley Horse sich zweimal aufbäumte, den Kopf senkte und versuchte, den herannahenden Wagen zu überspringen. Marco hörte sich schreien, aber er schrie gegen seinen Adrenalinstoß und das beständige Anbranden der Acid-Wellen an. Es ging jetzt voll los, und kein anderes Lebewesen schien ihn zu hören oder zu beachten, schon gar nicht das Pferd. Das nämlich in diesem Moment seine fünf Zentner Pferdefleisch gegen die sich bereits einfaltende Motorhaube des Buick warf – oder nein, es war doch ein Pontiac, jetzt sah man das spitze V aus Chrom mit dem aufgelöteten stoischen Indianerhäuptling – und langsam, auch sinnlos, mit seinen Hufen auf die Kotflügel zu beiden Seiten eintrommelte. Auch das Motorboot war jetzt Teil der Show geworden, es wurde aus dem Anhänger gehoben, blieb einen Moment in der Luft hängen, ehe es graziös über die Straße rutschte und erst an der Stoßstange des VW-Busses zum Stillstand kam.
Jemand fluchte. Der Autounfall schien mit zusammengepreßten Zähnen zu fluchen, es war wie eine Anrufung, derselbe Einsilber, dreimal wiederholt, bis die Flüche zu Schreien wurden und Marco auf den Ursprung der Flüche zuging, durch einen Vorhang von dem, was real war, und dem, was sein könnte. Was er dort sah? Eine Frau am Steuer des Pontiac, Lockenwickler im Haar, verzerrtes Gesicht. Charley Horse hatte es geschafft, sich an der Spitze des Indianerkopfs – der Kühlerfigur – aufzuschlitzen und war dann auf dem Wagendach zusammengebrochen. Marco kämpfte gegen das LSD an, versuchte mit aller Macht, seinen Kopf wieder die Kontrolle über den Körper gewinnen zu lassen. Er wich den tretenden Hufen aus, den Hunderten von Eimern Pferdeblut und seinen verschlungenen grauen Gedärmen, und stemmte die hintere Tür des Pontiac auf. Er zog die Frau – diesen langgezogenen Schrei von Frau – an den Schultern auf den Rücksitz, als wäre sie ein Möbelstück, und dann zerrte er sie aus dem Wagen und auf den schwankenden Asphalt. Sie trug ihren Mund wie ein Abzeichen, lauter Lärm und Geschrei, und er stand neben ihr, legte ihr einen Arm um die Schultern, während Charley Horse sich durch sein Stampfen vom Wagendach hinunterbugsierte und die Straßenböschung hinabrutschte wie ein schwarzer Seelöwe, der zum letztenmal ins Meer tauchte. Diesmal stand das Pferd nicht wieder auf.
»Marco!« rief Norm. »Marco, tu doch was. Scheiße! Was ist denn das, Blut?« Er stand jetzt auf der Straße, ebenso wie der alte Mann und seine Frau, die blinzelten, als wären sie zu spät ins Kino gekommen und suchten jetzt nach ihren Plätzen. Ohne seine Brille sah Norm seltsam aus – unmenschlich, oder nein: nichtmenschlich. Er hatte ein Stück Stoff im Auto gefunden – ein zerrissenes T-Shirt von einem der Kinder – und drückte es sich gegen das Gesicht, um die Blutung zu stillen. »Scheißpferd«, murmelte er, und da lag es, auf der Seite im Graben, und es keuchte noch.
»In Ihrem Interesse, Mister, kann ich nur hoffen«, begann der alte Mann – und da war er, wie ein Stehaufmännchen tauchte er dicht neben Norm auf, blaß und verkrampft und mit Zähnen, die nicht recht in seinen Schädel zu passen schienen (geliehene Zähne, was für eine Idee!) –, »daß Sie gut versichert sind, mehr sag ich nicht.«
Als nächstes erlebte sich Marco in vollem Laufschritt. Er rannte einen knappen Kilometer die dahinströmende Asphaltstraße bis zur Abzweigung nach Drop City, vorbei an dem Zutrittsschild ( Keine Männer , las er, keine Frauen – nur Kinder ) und dann die gefurchte Schotterstraße hinauf bis zum großen Haus, das zwischen den Bäumen waberte. »Hol Hilfe!« hatte ihn Norm angeschrien. »Hol Alfredo! Hol irgendwen!« Und plötzlich rannte Marco noch schneller, warf sich in einer Art rasender Horrortrip-Panik die Straße entlang, seine Stiefelsohlen knallten erst auf den Asphalt, dann in den Staub. Irgendwen, irgend jemanden! Er flankte über einen morschen Zaun und
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