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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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spülte sie mit einem Schluck des süßen Weins hinunter. In der Ferne malte der Schein des Feuers den Himmel gelb, und sie hörte die Musik einsetzen, das Schlagen des Tamburins, einige rudimentäre Akkordfolgen auf Sky Dogs Gitarre, oder vielleicht war es auch die von Dale Murray. Sie tanzten jetzt dort drüben, tanzten für die Freude, für die Weisheit, für den Frieden. Star wollte nicht mehr tanzen. Sie wollte nichts – sie war betäubt, im Leerlauf, und mußte jetzt nichts als schlafen. Doch dann fuhr ihr Ronnie mit der Hand das Bein hinauf und erhob sich aus dem Dunkel, um seinen Mund auf ihren zu drücken, und sie wollte nein sagen, wollte ihm sagen, er solle zurück zu Lydia gehen, wollte ihm sagen, daß es zwischen ihnen aus war, außer im rein geschwisterlichen Sinne, und daß es nichts mehr bedeutete, wenn sie aus demselben Heimatort stammten – das alles wollte sie ihm sagen. Aber sie tat es nicht.

15
    Es regnete nie im Juli, nicht in Kalifornien, weil Kalifornien ein Monsunklima hatte, und dieses Klima diktierte eben seine Bedingungen – Regen im Winter, Dürre im Sommer. So war das. So war es schon immer gewesen. »Darauf könnt ihr wetten«, krähte Norm jedem Neuankömmling von der Ostküste entgegen, »kein Tropfen kommt runter zwischen April und November. Ihr wollt im Freien leben? Ihr wollt euch die Kleider vom Leib reißen? Ihr wollt Feste in der Natur feiern wie die Chumash-Indianer? Dann willkommen, legt ruhig los, denn das hier ist nicht New Jersey oder Buffalo oder Pittsburgh, Pennsylvania, das hier ist Kalifornien .« Den trockensten Sommer und den nassesten Winter seines Lebens hatte Marco in San Francisco verbracht, als er es mal gemeinsam mit dreizehn miesepetrigen Kommunarden in einem geräumigen alten Eckhaus mit leckem Dach versucht hatte, und meinte daher, wenigstens vom Wetter hier etwas zu verstehen. Und doch, als er am Morgen nach der Mittsommerparty aufwachte, regnete es.
    Er hatte nicht gut geschlafen. Auch nicht viel. Star hatte sich von ihm abgesetzt, als das Freudenfeuer in vollem Gang war, und sie war nicht zurückgekehrt. Zunächst hatte er es kaum bemerkt. Er hatte ein paar Bier getrunken, und er hatte sich mit Norm und Alfredo das Wort Alaska wie einen Federball zugespielt, hoch übers Netz und wieder zurück, tiefe Vorhand für den unmöglichen Schlag, dann hochgesprungen, und zack ! In diesem Moment lag eine Menge in der Luft, die Leute standen staunend und verärgert in Grüppchen herum (Diese Nazi-Arschlöcher, das ist doch immer noch Amerika hier, oder nicht?) und versuchten, sich diesen neuen Traum anzueignen, diesen Traum eines neuen Anfangs, etwas ganz von vorn und aus dem Nichts aufzubauen, wie die Pioniere, für die sich ja alle insgeheim hielten, und was tat es schon, wenn sie dabei ein wenig leiden mußten? Okay, es war kalt da oben, und wennschon? Hatte Roger Williams sich etwa um körperliche Annehmlichkeiten gekümmert, als er die Kolonie von Rhode Island gegründet hatte? Oder Kapitän John Smith, als er zu den Sümpfen von Virginia hinuntersegelte? Einer nach dem anderen legte ein Kleidungsstück, ein Amulett oder ein Totem ab und warf es ins Feuer, unter Loyalitätsbekundungen für das neue Ideal, für die grenzenlose Freiheit, für Alaska. Es war eine pubertäre Phantasie – die Phantasie der einsamen Insel, des eigenen Staates, wo man die Regeln selbst und nach Belieben bestimmen konnte –, aber zugleich war sie unwiderstehlich. Marco sah es in jedem Gesicht, den Reiz von Veränderung, von Timothy Learys Mutation , und er wurde selbst davon erfaßt.
    Er saß mit Norm Knie an Knie vor den Resten der Glut, trank Kräutertee aus einem angeschlagenen Keramikbecher und versuchte, jede Einzelheit zu besprechen und jedes Hindernis vorauszusehen, als es am Osthimmel langsam hell wurde. Alle anderen waren schlafen gegangen, sogar Mendocino Bill, der fast eine schummrige Stunde lang von der Notwendigkeit – nein: der Pflicht – gefaselt hatte, einen Rechtsanwalt zu engagieren und sich zu wehren, aber Norm hatte gesagt, er habe genug davon, Anwälte anzuheuern, genug vom Steuerzahlen und genug von der ganzen Spießerwelt, ein für allemal. »Sieh doch nur«, sagte Norm und hob seinen Becher in Richtung Dämmerung, »da dreht Gott quasi den Dimmer auf, was?« Und dann kam er auf die Beine, klopfte sich den Hintern seines Overalls ab. »Zeit zum Knackengehen für heute. Uns bleiben hier vielleicht noch sechs Tage, wenn wir Glück haben. Logistik, Mann, ich

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