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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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rede hier von Logistik. Da gibt’s noch viel zu tun.«
    Jetzt aber regnete es, ein stetiger vertikaler Sturmangriff von Wasser in seiner natürlichen Beschaffenheit, grau, unerwartet, unangekündigt, naß. Marco erwachte von seinem Geräusch und Geruch und stellte fest, daß das Dach leckte. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, es mit einem Schlauch zu testen – es hielt den Morgentau ab, und das reichte ja, denn wer hätte gedacht, daß es im Juni regnete? Die Langschindeln hatte er selbst gespalten, aber Dachpappe war nicht zu bekommen – Teer zum Einstreichen auch nicht –, und das Sperrholz, das er verwendet hatte, war so lange unbehandelt den Elementen überlassen worden, daß es überall Schimmelschäden hatte. Als er so in seinem feuchten Schlafsack lag, war er zuerst wütend auf sich, dann kam er sich albern vor, bis er sich irgendwann sagte, wie sinnlos es war, sich zu ärgern: schließlich war das hier nichts als ein Baumhaus, wie es jeder Zwölfjährige zum Spaß zusammenbasteln mochte. Er hatte hier nur herumgespielt. Er konnte es besser. Natürlich konnte er das.
    Er atmete ein und wieder aus und sah zu, wie seine Atemluft einen eigenen kleinen meteorologischen Vorgang bildete, lauschte dem pausenlosen Tropfen des Regens.
    Wenigstens Star war im Trockenen. Er versuchte sie sich vorzustellen, eingerollt auf einem der Sofas im großen Haus, wie sie Platten hörte, einen Plausch mit Merry und Lydia hielt und wer sonst noch aus dem Regen hereingekommen war, oder vielleicht war sie in der Küche, beim Zubereiten von Reis oder Pasta für vierzig Personen. Sie war eine gute Köchin, mit einem Händchen für Gewürze. Sie verstand sich auf indische Küche, die er liebte. Sie mußte ja im großen Haus sein, denn sie war nicht hier. Logisch. Hier war niemand außer einem verlassenen Langhaarigen in einem durchnäßten Schlafsack.
    Sie hatte am Abend über Kopfschmerzen geklagt, und er hatte angenommen, daß sie zurück ins Baumhaus gegangen war, um sich hinzuhauen, doch als er in der steingrauen Suppe der Morgendämmerung die Leiter hinaufgeklettert war, fand er den Schlafsack leer vor. Also nahm er weiter an, daß sie die Nacht im großen Haus verbracht hatte, wie sie es manchmal tat, in dem Raum, den Merry und Maya mit ein paar verblichenen Navajo-Decken über einer Wäscheleine abgeteilt hatten. Marco war ein-, zweimal dort gewesen – es war schließlich eine offene Gesellschaft, und theoretisch gab es keine Privatsphäre –, aber es hatte ihn verlegen gemacht. Der Raum roch nach Frauen, schmeckte nach ihnen, nach ihren Parfüms und Lotionen, ihren Duftkerzen und Räucherstäbchen und den Sachen, die sie dicht am Körper trugen, und dort war es ordentlich, während im Rest des Hauses Chaos herrschte. Außerdem war es dunkel, nur von Kerzen erhellt, auch mitten am Tag, weil die Fenster mit Pappkarton und Poster zugeklebt waren. Norm nannte es das Serail. Und der große orangerote Kater, der ja nicht blöd war, machte es sich gern in den Betten dort bequem und ließ sich die Ohren kraulen.
    Vermißte er sie schon nach einer Nacht? Ärgerte er sich darüber, daß sie nicht neben ihm geschlafen hatte? Machte er sich Sorgen? War er eifersüchtig? Besitzergreifend? Er wußte es nicht. Aber er schälte sich aus dem klammen Schlafsack, streifte sich die Jeans über und kletterte barfuß die Leiter hinab, um den schlammigen Garten zum großen Haus zu durchqueren und das herauszufinden.
    Er ging hintenherum, um nicht den Dreck durchs ganze Haus zu tragen, und als er die Treppe auf der Rückseite hinaufstieg, dachte er an Stiefel – er würde neue brauchen, ein neues Paar, feste Arbeitsstiefel aus dem Army & Navy-Store, wenn er den Winter oben im Norden überleben wollte –, und er hielt kurz inne, um seine schlammigen Füße im Regenwasser abzuspülen, das von der Dachtraufe herunterströmte. Drinnen wurde Tee gekocht, und die Fenster waren angelaufen. Kalt war es nicht, nicht richtig, dennoch lief ihm ein Schauer über den Rücken, als er die Tür aufstieß in der Mauer aus heißer Luft und einer komplexen Mischung aus Düften: frisch gebackenes Brot, Kaffee, Basilikum, Gemüsebrühe in einem blankgeputzten Topf auf dem Herd.
    Star beugte sich über den Kochtopf, ihre Kinderhände schlossen sich um eine Portion kleingeschnittenen Sellerie. Sie lächelte ihm zu, warf den Sellerie in den Topf und ging auf ihn zu, um ihn kurz zu umarmen und ihm einen höchst flüchtigen Kuß aufzudrücken. »Wo warst du denn?«

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