Drowning - Tödliches Element (German Edition)
stark zu belasten. Der Kaltwasserhahn tropft immer noch, es ist sogar schlimmer geworden.
Als ich mich im Spiegel sehe, jagt es mir das Herz in die Kehle. Die Form des Gesichts, die Neigung der blaugrauen Augen, die Stellung des Mundes und die Dreckspuren. Alles sagt: Rob. Das Gesicht, das sie zugezogen haben – die Augen geöffnet, die Haut bleich und von Schlamm überzogen.
Doch ich bin nicht Rob. Das muss ich mir immer wieder sagen. Ich sehe aus wie er, aber sonst nichts. Wir waren zusammen am See, wir waren dort, haben im Wasser gekämpft … aber ich bin lebend herausgekommen.
Der Schlamm in meinem Gesicht muss von dem Sturz bei den Bungalows sein. Ich spüre einen Schauer des Ekels, doch ich kann ihn abwaschen. Ich kann mich säubern. Ich fasse nach dem Warmwasserhahn und zucke zurück: Mein Handballen ist wund. Kleine blutige Punkte, hellrote wässrige Stellen, wo die Haut weg ist. Ich stecke den Stöpsel ins Abflussloch und will den Wasserhahn aufdrehen, doch plötzlich breche ich mitten in der Bewegung ab, erinnere mich, was letzte Nacht passiert ist, als ich mir Wasser ins Gesicht spritzte.
Die Erinnerungen. Die Stimme.
Aber das war mitten in der Nacht. Ich war müde. Verwirrt.
Trotzdem. Ich drehe mich um, schaue nach. Natürlich ist niemand da.
Ich schaue zu, wie das Wasser aus dem Kaltwasserhahn tropft und im Becken eine kleine Pfütze bildet. Ich spüre eine stechende Angst in den Eingeweiden.
Verdammt, wasch dich einfach. Schau dich doch an. Du siehst furchtbar aus. Eine Stimme in meinem Kopf treibt mich an.
Ich drehe den Warmwasserhahn auf, bis es rauscht und spritzt, tauche eine Hand ein und fahre mit ihr durch das Becken, um die Temperatur zu fühlen. Ich schaue nach unten, doch meine Augen sehen etwas im Spiegel, das hinter mir aufblitzt, eine Bewegung. Ehe ich sicher bin, dass ich tatsächlich etwas gesehen habe, ist sie schon weg, aber meine Brust bebt und ich spüre Schweiß auf der Oberlippe. Ich wirble herum und scanne das Badezimmer.
Es ist leer.
Ich drehe mich wieder zum Waschbecken um. Komm schon, du schaffst es. Das Wasser reicht jetzt fast bis zum Überlauf. Ich stelle den Warmwasserhahn ab und drehe den anderen so fest zu, dass auch er aufhört zu tropfen. Dann tauche ich beide Hände ins Becken, beuge mich vor und spritze mir mein Gesicht nass.
Sie schreit. Ihre Hände zerren an seinen, versuchen sie von ihrem Hals loszureißen. Ich hole noch einmal tief Luft und schwimme zu ihnen. Ich schaue wieder nach oben. Regen klatscht auf das Wasser, lässt die Oberfläche lebendig wirken und nimmt mir die Sicht. Aber ich höre noch Neisha. Höre, wie sie um ihr Leben schreit.
Ich spüre Schweiß zwischen den Schulterblättern, mein Magen zieht sich zusammen, mein Herz pocht. Es ist nicht real; es ist eine Erinnerung, nichts weiter. Ich zwinge mich, die Seife zu nehmen und die Hände gegeneinander zu reiben. Ich lehne mich wieder nach vorn und schrubbe Wangen, Stirn, Kinn- und Augenpartie.
Mach dich sauber, wasch alles ab.
Ich werfe mir noch einmal Wasser ins Gesicht, um die Seife wegzuspülen. Als ich die Augen öffne, haben sich die Seifentropfen mit dem Rest vermengt und trüben das Wasser im Becken. Ich sehe zwar noch den dunklen Kreis des Stöpsels am Boden, doch es ist noch etwas anderes da. Ein Gesicht schaut zu mir hoch.
Sein Gesicht. Totenbleich. Gezeichnete Haut.
»Nein!«
Ich springe zurück, taste nach dem Handtuch. Ich trockne mein Gesicht ab, wage mich vorsichtig wieder nach vorn, schaue über den Rand des Beckens. Ein bleicher Schatten zeigt sich jetzt dort, die Silhouette eines Gesichts mitsamt Hals. Zitternd beuge ich mich näher heran. Die Silhouette wird größer. Noch näher. Sie wird abermals größer.
Natürlich, ich bin das. Mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche.
Ich ziehe den Stöpsel und sehe zu, wie das Wasser verschwindet. Danach betrachte ich mich im Spiegel.
Woher weiß man, ob man gerade verrückt wird? Sieht man dann anders aus? Kann man es in den eigenen Augen sehen?
SECHS
Unten im Wohnzimmer herrscht Chaos, die Bierdosen sind noch da, wo Mum sie letzte Nacht abgestellt hat. Die Jacke, die ich über sie gedeckt hatte, liegt auf dem Boden. Nur sie selbst ist nicht da. Ich schaue in der Küche nach, schließlich gehe ich zum Treppenabsatz zurück und rufe nach oben.
»Mum?«
Ich renne hinauf und klopfe an ihre Tür.
»Mum?«
Keine Antwort. Ich schaue vorsichtig ins Zimmer. Das Bett ist leer, die Decke liegt halb auf dem Boden.
Weitere Kostenlose Bücher