Drowning - Tödliches Element (German Edition)
klingelt es ewig, dann schaltet sich die Mobilbox ein.
»Hi, hier ist Neisha. Ich kann im Moment nicht drangehen. Hinterlass doch nach dem Ton eine Nachricht, dann rufe ich so schnell wie möglich zurück!« Sie verabschiedet sich mit einem Kuss und auf einmal muss ich an ihre Lippen denken, den Schmollmund auf dem Foto. Und ich denke auch an ihre freien Schultern, ihr …
Das Signal klingelt in mein Ohr und ich fasle erschrocken drauflos.
»Neisha, ich bin’s, Carl. Ich muss unbedingt mit dir reden. Ich hab so viele Fragen? Ich kann mich nicht richtig erinnern. Ich weiß nicht, was passiert ist. Du warst doch da. Du bist die Einzige, die mir …«
Ich höre ein fummelndes Geräusch, dann ist sie wieder da und unterbricht mich.
»Ich hab dir nichts zu sagen. Lass mich in Ruhe, Carl. Lass mich in Ruhe!«
Und danach ist die Verbindung wieder tot. Nichts, nur mein eigener Atem und das statische Rauschen.
Sie will nichts mit mir zu tun haben, so viel ist sicher. Aber wieso? Was habe ich ihr getan? Sie hat neben mir im Park gesessen, entspannt und glücklich in der Sonne. Was ist passiert? Was hat sich geändert?
Der Verdacht, der mich die ganze Zeit beunruhigt hat, wird konkreter.
Ich erinnere mich, gegen Rob im Wasser gekämpft zu haben. Ich habe überlebt. Er nicht.
Habe ich ihn umgebracht?
Habe ich meinen Bruder umgebracht?
Ist das der Grund, weshalb mich Neisha hasst? Ist das der Grund, weshalb sie solche Angst hat?
Aber das hat sie der Polizei nicht gesagt. Sie hat gesagt, sie weiß nicht, wie er gestorben ist, und dass wir nur rumgealbert haben. Ich verstehe das nicht.
Ich muss sie treffen. Wenn ich es tatsächlich bin – ein Mörder –, dann muss ich wissen, was passiert ist. Was mich dazu gebracht hat, so etwas zu tun.
Ich nehme mir das Telefonbuch aus dem Wohnzimmer. Meine Finger zittern, als ich drin rumblättere. Es gibt nur einmal Gupta in Kingsleigh. Die Adresse ist 8 River Terrace. Ich finde sie auf dem Stadtplan. Sie liegt auf halbem Weg zwischen Siedlung und Fabrik. Nicht weit von der Brücke über den Fluss. Ich speichere die Strecke in meinem Kopf, und dabei sehe ich sie, sehe die Wege, die Gassen und Straßen. Ich bin schon mal dort gewesen – und plötzlich erinnere ich mich wieder: wie ich Rob gefolgt bin, auf der Straße stand, das Haus beobachtet habe, die Silhouetten hinter dem Fenster … und wie die Eifersucht in mir schwelte.
Es stimmt, was man über diese Asiatinnen sagt, kleiner Bruder. Sie haben es echt drauf. Das steht fest. Schließlich kommt nicht umsonst das Kamasutra da her.
Eine Erinnerung an Neishas Gesicht – an ihre dunkelbraunen Haare, ihre vollen Lippen – kehrt zurück. Plötzlich weiß ich, es gab eine Zeit, da bekam ich sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie war da, wenn ich Bier soff, sie war da, wenn ich nach oben ging, sie war da, wenn ich auf dem Bett lag, mit offenem Reißverschluss und meiner Hand in der Hose.
Die Empfindungen sind alle da, in mir drin. Er hat mich vertrieben. Er brauchte mich nicht mehr. Ich war eifersüchtig auf ihn und er hat es genossen. Er hat mich verhöhnt. Und ich wollte sie. Aber es hätte nie wahr werden können, weil er da war. Er war immer da. Als der Ältere, Größere, Härtere.
Das Tropfen des Wasserhahns hinter mir im Badezimmer lässt mir die Haare im Nacken senkrecht stehen.
Das ist doch albern. Es ist nur Wasser, verdammt noch mal.
Ich springe auf und stapfe ins Bad. Ich drehe den Hahn so fest zu, bis sich nichts mehr tut.
»Hör endlich auf. Hör auf!«, sage ich laut.
»Alles in Ordnung mit dir da oben?«, ruft Mum aus dem Wohnzimmer.
»Ja, ja, alles okay. Ich geh noch mal weg.«
Ich gehe die Treppe hinunter. Sie steht im Flur.
»Wo willst du denn hin?«
»Raus. Frische Luft schnappen.«
»Bleib hier, Carl. Es wird bald dunkel.«
Sie hält eine Bierdose in der einen Hand. Die andere ist an ihrem Mund. Sie kaut an einem Fingernagel. Die Haut ist rot und wund. Sie sieht zu mir auf und ich merke plötzlich, dass sie nicht allein sein will.
»Ich bleib nicht lange, Mum. Ich muss nur kurz jemanden treffen.«
Sie zuckt die Schultern.
»Ich bin gleich wieder da, versprochen.«
Ich öffne die Haustür, ziehe mir die Kapuze über den Kopf und gehe die Straße entlang, in die entgegengesetzte Richtung des Parks. Mein Blick ist zu Boden gerichtet. Ich muss nur weit genug nach vorn sehen, um Hundescheiße und Pfützen auszuweichen. Die Kapuze dämpft die Geräusche der Siedlung, und als ich in
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