Drowning - Tödliches Element (German Edition)
ehe man ihr Haus sehen kann, löst sie ihre Hand aus meiner.
»Danke«, sagt sie, »dass du mich nach Hause gebracht hast.«
»Schon gut.«
»Ich geh dann jetzt lieber rein.«
»Ja.«
»Scheint dir besser zu gehen. Du wirkst ruhiger.«
»Liegt an dir. Dass ich mit dir zusammen bin. Mit dir rede, verstehst du …« Und es stimmt. Ihre Wärme hat meine Dämonen verscheucht. Wenn ich nur Neisha für immer bei mir behalten könnte.
SECHZEHN
Neisha. Ihre Augen. Ihre Haut. Ihr Geruch. Ihr Geschmack.
Sie ist zu Hause und ich bin auf dem Heimweg, doch sie erfüllt all meine Sinne und die Erinnerungen kommen zurück. Ich mochte sie vom ersten Moment an, als ich sie sah. Ich wollte sie haben, als sie mit Rob zusammen war. Aber das war nichts gegen meine Gefühle jetzt.
Ich habe sie geküsst.
Und sie hat mich nicht angeschrien, mir auch keine Ohrfeige verpasst.
Sie hat meine Hand genommen.
Unter meinen Füßen sind Beton und Teer, Kiesel und Gras, aber in Wahrheit gehe ich auf Wolken. Leben ist ein heilloses Chaos, doch es hat auch etwas Gutes. Etwas unglaublich, wunderbar Gutes. Ich möchte dieses Gefühl festhalten, aber natürlich kann ich das nicht. Eine Schleuse hat sich in meinem Kopf geöffnet – ich werde von Erinnerungen bombardiert, einem Tsunami aus Bildern und Stimmen, die sich überschlagen, wieder und wieder, bis ein bestimmtes Bild hängenbleibt. Ich und sie. Neisha und ich.
Und Rob.
Ich bleibe stehen, lehne mich an eine Mauer, bedecke mein Gesicht und schaue den Film in meinem Kopf an.
»Liebst du sie?«
Er lacht.
»Natürlich nicht.«
»Dann lass sie in Ruhe.«
»Damit du sie haben kannst? Eher würde ich sie umbringen.«
»Red keinen Mist.«
»Du redest Mist, Dummkopf. Glaubst du, die Alte will dich, wenn sie erst deine Winzlingsattrappe von Schwanz gesehen hat?«
»Halt den Mund. Halt einfach den Mund.«
»Die legt ihre Lupe weg, macht sich vor Lachen in die Hose und das war’s. Schluss, aus.«
»Halt den Mund. So ist sie nicht.«
»Genau so. So sind sie alle.«
»Nein.«
»Und das weißt du, ja?«
Er hat uns gesehen, wie wir zusammen im Park saßen, deshalb ist er so wütend. Aber nein, diesmal werde ich es nicht schlucken. Diesmal wehre ich mich.
»Sie mag mich. Sie hat mich geküsst. Sie –«
»Was?«
»Sie hat mich geküsst und ich hab sie zurückgeküsst und es hat ihr gefallen.«
»Du lügst. Sollte ich irgendwann das Gefühl haben, dass du hinter meinem Rücken mit ihr rummachst, bring ich dich um – bring ich euch beide um.«
Damals hatte ich gelogen, und mir so sehr gewünscht, dass es wahr wäre. Und jetzt erinnere ich mich wieder, wie er mit der Faust erst in die Tür und dann in mein Gesicht geschlagen hat. Er war so wütend, dass er nicht anders konnte. Ich war schuld, ich hatte ihn reingelegt, wütend gemacht. So viel ist inzwischen wieder da. Aber erinnere ich mich an alles? Ist das alles, was ich wissen muss?
Die Teile des Puzzles fügen sich langsam zusammen. Weil er sie schlug, vertraute sie sich mir an. Meine Lüge, sie geküsst zu haben, brachte ihn in Rage …
Damals habe ich gelogen, aber diesmal ist es wahr.
Ich gehe weiter. Inzwischen bin ich wieder auf der Hauptstraße, und als ich am Süßigkeitenladen vorbeigehe, weht eine heiße Luft heraus und schickt mir einen leichten Vanilleduft. Der Duft sagt »Neisha« zu mir und ich weiß, er ist ein Zeichen. Das ist meine Zukunft – Wärme und Süße. Das ist es, was ich verdient habe. Ich habe Neisha gerettet. Aber sie ist immer noch in Gefahr. In meinem aufgewühlten Innern weiß ich, dass ich sie wieder und wieder werde retten müssen.
Als ich nach Hause komme, höre ich Stimmen aus der Küche. Ich strecke meinen Kopf durch die Tür und werde von einem wilden, dröhnenden Schrei empfangen. Eine Frau, die wie eine ältere, dickere Version meiner Mum aussieht, steht auf und kommt mir kreischend entgegen.
»Das bist doch niemals im Leben du. Niemals. Nie. O Gott. Carl! Carl!«
Sie schlingt ihre Arme um mich und hält dabei einen Becher in der einen Hand, eine Zigarette in der andern. Von nahem riecht sie wie ein Aschenbecher im Pub.
»Es tut mir so leid, so leid, scho leid.« Sie spricht jetzt in meinen Nacken. Ich schaue über die Schulter zu Mum. Ihre Augen sind rot und glasig, sie hat geweint. Und getrunken. Das ist kein Kaffee in den beiden Bechern.
»Du erinnerst dich doch noch an deine Tante Debbie?«, sagt sie. Und ja, ich erinnere mich. An Familien-Weihnachtsfeste, sie und Mum als
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