Drucke zu Lebzeiten
„Eigentlich kränkt es mich
doch“, hielt er es wirklich für unverfänglich, dem
Freund alles zu schreiben. „So bin ich und so hat er
mich hinzunehmen“, sagte er sich, „ich kann nicht aus
mir einen Menschen herausschneiden, der vielleicht für
die Freundscha mit ihm geeigneter wäre, als ich es
bin.“
Und tatsächlich berichtete er seinem Freunde in dem
langen Brief, den er an diesem Sonntagvormittag
schrieb, die erfolgte Verlobung mit folgenden Worten:
„Die beste Neuigkeit habe ich mir bis zum Schluß auf-
gespart. Ich habe mich mit einem Fräulein Frieda Bran-
denfeld verlobt, einem Mädchen aus einer wohlhaben-
den Familie, die sich hier erst lange nach Deiner Abreise
angesiedelt hat, die Du also kaum kennen dürest. Es
wird sich noch Gelegenheit finden, Dir Näheres über
meine Braut mitzuteilen, heute genüge Dir, daß ich recht
glücklich bin und daß sich in unserem gegenseitigen Ver-
hältnis nur insofern etwas geändert hat, als Du jetzt in
mir statt eines ganz gewöhnlichen Freundes einen glück-
[ ]
lichen Freund haben wirst. Außerdem bekommst Du in
meiner Braut, die Dich herzlich grüßen läßt, und die Dir
nächstens selbst schreiben wird, eine aufrichtige Freun-
din, was für einen Junggesellen nicht ganz ohne Bedeu-
tung ist. Ich weiß, es hält Dich vielerlei von einem Besu-
che bei uns zurück. Wäre aber nicht gerade meine Hoch-
zeit die richtige Gelegenheit, einmal alle Hindernisse
über den Haufen zu werfen? Aber wie dies auch sein
mag, handle ohne alle Rücksicht und nur nach Deiner
Wohlmeinung.“
Mit diesem Brief in der Hand war Georg lange, das
Gesicht dem Fenster zugekehrt, an seinem Schreibtisch
gesessen. Einem Bekannten, der ihn im Vorübergehen
von der Gasse aus gegrüßt hatte, hatte er kaum mit ei-
nem abwesenden Lächeln geantwortet.
Endlich steckte er den Brief in die Tasche und ging aus
seinem Zimmer quer durch einen kleinen Gang in das
Zimmer seines Vaters, in dem er schon seit Monaten
nicht gewesen war. Es bestand auch sonst keine Nöti-
gung dazu, denn er verkehrte mit seinem Vater ständig
im Geschä. Das Mittagessen nahmen sie gleichzeitig in
einem Speisehaus ein, abends versorgte sich zwar jeder
nach Belieben; doch saßen sie dann noch ein Weilchen,
meistens jeder mit seiner Zeitung, im gemeinsamen
Wohnzimmer, wenn nicht Georg, wie es am häufigsten
geschah, mit Freunden beisammen war oder jetzt seine
Braut besuchte.
[ ]
Georg staunte darüber, wie dunkel das Zimmer des
Vaters selbst an diesem sonnigen Vormittag war. Einen
solchen Schatten warf also die hohe Mauer, die sich jen-
seits des schmalen Hofes erhob. Der Vater saß beim Fen-
ster in einer Ecke, die mit verschiedenen Andenken an
die selige Mutter ausgeschmückt war, und las die Zei-
tung, die er seitlich vor die Augen hielt, wodurch er
irgend eine Augenschwäche auszugleichen suchte. Auf
dem Tisch standen die Reste des Frühstücks, von dem
nicht viel verzehrt zu sein schien.
„Ah, Georg!“ sagte der Vater und ging ihm gleich
entgegen. Sein schwerer Schlafrock öffnete sich im Ge-
hen, die Enden umflatterten ihn – „mein Vater ist noch
immer ein Riese“, dachte sich Georg.
„Hier ist es ja unerträglich dunkel“, sagte er dann.
„Ja, dunkel ist es schon“, antwortete der Vater.
„Das Fenster hast du auch geschlossen?“
„Ich habe es lieber so.“
„Es ist ja ganz warm draußen“, sagte Georg, wie im
Nachhang zu dem Früheren, und setzte sich.
Der Vater räumte das Frühstücksgeschirr ab und stell-
te es auf einen Kasten.
„Ich wollte dir eigentlich nur sagen“, fuhr Georg fort,
der den Bewegungen des alten Mannes ganz verloren
folgte, „daß ich nun doch nach Petersburg meine Verlo-
bung angezeigt habe.“ Er zog den Brief ein wenig aus
der Tasche und ließ ihn wieder zurückfallen.
[ ]
„Nach Petersburg?“ fragte der Vater.
„Meinem Freunde doch“, sagte Georg und suchte des
Vaters Augen. – „Im Geschä ist er doch ganz anders“,
dachte er, „wie er hier breit sitzt und die Arme über der
Brust kreuzt.“
„Ja. Deinem Freunde“, sagte der Vater mit Betonung.
„Du weißt doch, Vater, daß ich ihm meine Verlobung
zuerst verschweigen wollte. Aus Rücksichtnahme, aus
keinem anderen Grunde sonst. Du weißt selbst, er ist ein
schwieriger Mensch. Ich sagte mir, von
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