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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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du
    nachdenkst, mußt du dich erinnern. Er erzählte damals
    unglaubliche Geschichten von der russischen Revolu-
    tion. Wie er z. B. auf einer Geschäsreise in Kiew bei
    einem Tumult einen Geistlichen auf einem Balkon gese-
     hen hatte, der sich ein breites Blutkreuz in die flache
    Hand schnitt, diese Hand erhob und die Menge anrief.
    Du hast ja selbst diese Geschichte hie und da wiederer-
    zählt.“
    Währenddessen war es Georg gelungen, den Vater
     wieder niederzusetzen und ihm die Trikothose, die er
    über den Leinenunterhosen trug, sowie die Socken vor-
    sichtig auszuziehn. Beim Anblick der nicht besonders
    reinen Wäsche machte er sich Vorwürfe, den Vater ver-
    nachlässigt zu haben. Es wäre sicherlich auch seine
     Pflicht gewesen, über den Wäschewechsel seines Vaters
    zu wachen. Er hatte mit seiner Braut darüber noch nicht
    ausdrücklich gesprochen, wie sie die Zukun des Vaters
    [  ]
    einrichten wollten, aber sie hatten stillschweigend vor-
    ausgesetzt, daß der Vater allein in der alten Wohnung
    bleiben würde. Doch jetzt entschloß er sich kurz mit
    aller Bestimmtheit, den Vater in seinen künigen Haus-
    halt mitzunehmen. Es schien ja fast, wenn man genauer 
    zusah, daß die Pflege, die dort dem Vater bereitet wer-
    den sollte, zu spät kommen könnte.
    Auf seinen Armen trug er den Vater ins Bett. Ein
    schreckliches Gefühl hatte er, als er während der paar
    Schritte zum Bett hin merkte, daß an seiner Brust der 
    Vater mit seiner Uhrkette spiele. Er konnte ihn nicht
    gleich ins Bett legen, so fest hielt er sich an dieser Uhr-
    kette.
    Kaum war er aber im Bett, schien alles gut. Er deckte
    sich selbst zu und zog dann die Bettdecke noch beson- 
    ders weit über die Schulter. Er sah nicht unfreundlich zu
    Georg hinauf.
    „Nicht wahr, du erinnerst dich schon an ihn?“ fragte
    Georg und nickte ihm aufmunternd zu.
    „Bin ich jetzt gut zugedeckt?“ fragte der Vater, als 
    könne er nicht nachschauen, ob die Füße genug bedeckt
    seien.
    „Es gefällt dir also schon im Bett“, sagte Georg und
    legte das Deckzeug besser um ihn.
    „Bin ich gut zugedeckt?“ fragte der Vater noch einmal 
    und schien auf die Antwort besonders aufzupassen.
    „Sei nur ruhig, du bist gut zugedeckt.“
    [  ]
    „Nein!“ rief der Vater, daß die Antwort an die Frage
    stieß, warf die Decke zurück mit einer Kra, daß sie
    einen Augenblick im Fluge sich ganz entfaltete, und
    stand aufrecht im Bett. Nur eine Hand hielt er leicht an
     den Plafond. „Du wolltest mich zudecken, das weiß ich,
    mein Früchtchen, aber zugedeckt bin ich noch nicht.
    Und ist es auch die letzte Kra, genug für dich, zuviel
    für dich! Wohl kenne ich deinen Freund. Er wäre ein
    Sohn nach meinem Herzen. Darum hast du ihn auch
     betrogen die ganzen Jahre lang. Warum sonst? Glaubst
    du, ich habe nicht um ihn geweint? Darum doch sperrst
    du dich in dein Bureau, niemand soll stören, der Chef
    ist beschäigt – nur damit du deine falschen Briefchen
    nach Rußland schreiben kannst. Aber den Vater muß
     glücklicherweise niemand lehren, den Sohn zu durch-
    schauen. Wie du jetzt geglaubt hast, du hättest ihn
    untergekriegt, so untergekriegt, daß du dich mit dei-
    nem Hintern auf ihn setzen kannst und er rührt sich
    nicht, da hat sich mein Herr Sohn zum Heiraten ent-
     schlossen!“
    Georg sah zum Schreckbild seines Vaters auf. Der Pe-
    tersburger Freund, den der Vater plötzlich so gut kann-
    te, ergriff ihn, wie noch nie. Verloren im weiten Rußland
    sah er ihn. An der Türe des leeren, ausgeraubten Ge-
     schäes sah er ihn. Zwischen den Trümmern der Regale,
    den zerfetzten Waren, den fallenden Gasarmen stand er
    gerade noch. Warum hatte er so weit wegfahren müssen!
    [  ]
    „Aber schau mich an!“ rief der Vater, und Georg lief,
    fast zerstreut, zum Bett, um alles zu fassen, stockte aber
    in der Mitte des Weges.
    „Weil sie die Röcke gehoben hat“, fing der Vater zu
    flöten an, „weil sie die Röcke so gehoben hat, die wider- 
    liche Gans“, und er hob, um das darzustellen, sein
    Hemd so hoch, daß man auf seinem Oberschenkel die
    Narbe aus seinen Kriegsjahren sah, „weil sie die Röcke
    so und so und so gehoben hat, hast du dich an sie heran-
    gemacht, und damit du an ihr ohne Störung dich befrie- 
    digen kannst, hast du unserer Mutter Andenken ge-
    schändet, den Freund verraten und deinen Vater ins Bett
    gesteckt, damit

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