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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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anderer Seite 
    kann er von meiner Verlobung wohl erfahren, wenn das
    auch bei seiner einsamen Lebensweise kaum wahr-
    scheinlich ist – das kann ich nicht hindern –, aber von
    mir selbst soll er es nun einmal nicht erfahren.“
    „Und jetzt hast du es dir wieder anders überlegt?“ 
    fragte der Vater, legte die große Zeitung auf den Fenster-
    bord und auf die Zeitung die Brille, die er mit der Hand
    bedeckte.
    „Ja, jetzt habe ich es mir wieder überlegt. Wenn er
    mein guter Freund ist, sagte ich mir, dann ist meine 
    glückliche Verlobung auch für ihn ein Glück. Und des-
    halb habe ich nicht mehr gezögert, es ihm anzuzeigen.
    Ehe ich jedoch den Brief einwarf, wollte ich es dir
    sagen.“
    „Georg“, sagte der Vater und zog den zahnlosen 
    Mund in die Breite, „hör’ einmal! Du bist wegen dieser
    Sache zu mir gekommen, um dich mit mir zu beraten.
    [  ]
    Das ehrt dich ohne Zweifel. Aber es ist nichts, es ist
    ärger als nichts, wenn du mir jetzt nicht die volle Wahr-
    heit sagst. Ich will nicht Dinge aufrühren, die nicht hier-
    her gehören. Seit dem Tode unserer teueren Mutter sind
     gewisse unschöne Dinge vorgegangen. Vielleicht kommt
    auch für sie die Zeit und vielleicht kommt sie früher, als
    wir denken. Im Geschä entgeht mir manches, es wird
    mir vielleicht nicht verborgen – ich will jetzt gar nicht
    die Annahme machen, daß es mir verborgen wird –, ich
     bin nicht mehr kräig genug, mein Gedächtnis läßt
    nach. Ich habe nicht mehr den Blick für alle die vielen
    Sachen. Das ist erstens der Ablauf der Natur, und zwei-
    tens hat mich der Tod unseres Mütterchens viel mehr
    niedergeschlagen als dich. – Aber weil wir gerade bei
     dieser Sache sind, bei diesem Brief, so bitte ich dich
    Georg, täusche mich nicht. Es ist eine Kleinigkeit, es ist
    nicht des Atems wert, also täusche mich nicht. Hast du
    wirklich diesen Freund in Petersburg?“
    Georg stand verlegen auf. „Lassen wir meine Freunde
     sein. Tausend Freunde ersetzen mir nicht meinen Vater.
    Weißt du, was ich glaube? Du schonst dich nicht genug.
    Aber das Alter verlangt seine Rechte. Du bist mir im
    Geschä unentbehrlich, das weißt du ja sehr genau; aber
    wenn das Geschä deine Gesundheit bedrohen sollte,
     sperre ich es noch morgen für immer. Das geht nicht.
    Wir müssen da eine andere Lebensweise für dich einfüh-
    ren. Aber von Grund aus. Du sitzt hier im Dunkel, und
    [  ]
    im Wohnzimmer hättest du schönes Licht. Du nippst
    vom Frühstück, statt dich ordentlich zu stärken. Du
    sitzt bei geschlossenem Fenster, und die Lu würde dir
    so gut tun. Nein Vater! Ich werde den Arzt holen und
    seine Vorschrien werden wir befolgen. Die Zimmer 
    werden wir wechseln, du wirst ins Vorderzimmer zie-
    hen, ich hierher. Es wird keine Veränderung für dich
    sein, alles wird mit hinübergetragen. Aber das alles hat
    Zeit, jetzt lege dich noch ein wenig ins Bett, du brauchst
    unbedingt Ruhe. Komm, ich werde dir beim Ausziehn 
    helfen, du wirst sehen, ich kann es. Oder willst du gleich
    ins Vorderzimmer gehn, dann legst du dich vorläufig in
    mein Bett. Das wäre übrigens sehr vernünig.“
    Georg stand knapp neben seinem Vater, der den Kopf
    mit dem struppigen weißen Haar auf die Brust hatte 
    sinken lassen.
    „Georg“, sagte der Vater leise, ohne Bewegung.
    Georg kniete sofort neben dem Vater nieder, er sah die
    Pupillen in dem müden Gesicht des Vaters übergroß in
    den Winkeln der Augen auf sich gerichtet.
    
    „Du hast keinen Freund in Petersburg. Du bist immer
    ein Spaßmacher gewesen und hast dich auch mir gegen-
    über nicht zurückgehalten. Wie solltest du denn gera-
    de dort einen Freund haben! Das kann ich gar nicht
    glauben.“
    
    „Denk doch noch einmal nach, Vater“, sagte Georg,
    hob den Vater vom Sessel und zog ihm, wie er nun doch
    [  ]
    recht schwach dastand, den Schlafrock aus, „jetzt wird
    es bald drei Jahre her sein, da war ja mein Freund bei uns
    zu Besuch. Ich erinnere mich noch, daß du ihn nicht
    besonders gern hattest. Wenigstens zweimal habe ich ihn
     vor dir verleugnet, trotzdem er gerade bei mir im Zim-
    mer saß. Ich konnte ja deine Abneigung gegen ihn ganz
    gut verstehn, mein Freund hat seine Eigentümlichkeiten.
    Aber dann hast du dich doch auch wieder ganz gut mit
    ihm unterhalten. Ich war damals noch so stolz darauf,
     daß du ihm zuhörtest, nicktest und fragtest. Wenn

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