Drucke zu Lebzeiten
immer wieder bei der gleichen Stelle bleibt er stek-
ken, versagt. Ein Weilchen lang sitzt Blériot ganz still in
seinem Sitz; seine sechs Mitarbeiter stehn um ihn herum,
ohne sich zu rühren; alle scheinen zu träumen.
Die Zuschauer können einmal aufatmen und sich um-
sehn. Die junge Frau Blériot mit mütterlichem Gesicht
kommt vorüber, zwei Kinder hinter ihr. Wenn ihr Mann
nicht fliegen kann, ist es ihr nicht recht, und wenn er
fliegt, hat sie Angst; überdies ist ihr schönes Kleid ein
bißchen zu schwer für diese Temperatur.
Wieder wird die Schraube angedreht, vielleicht besser
als früher, vielleicht auch nicht; der Motor kommt mit
Lärm in Gang, als sei er ein anderer; vier Männer halten
[ ]
rückwärts den Apparat und inmitten der Windstille
ringsherum fährt der Luzug von der schwingenden
Schraube her in Stößen durch die Arbeitsmäntel dieser
Männer. Man hört kein Wort, nur der Lärm der Schrau-
be scheint zu kommandieren, acht Hände entlassen den
Apparat, der lange über die Erdschollen hinläu, wie ein
Ungeschickter auf Parkett.
Viele solche Versuche werden gemacht und alle enden
unabsichtlich. Jeder treibt das Publikum in die Höhe,
auf die Strohsessel hinauf, auf denen man mit ausge-
streckten Armen zugleich sich in Balance erhält, zu-
gleich auch Hoffnung, Angst und Freude zeigen kann.
In den Pausen aber zieht die Gesellscha des italieni-
schen Adels die Tribünen entlang. Man begrüßt einan-
der, verneigt sich, erkennt einander wieder, es gibt Um-
armungen, man steigt die Treppen zu den Tribünen hin-
auf und hinab. Man zeigt einander die Principessa Laeti-
tia Savoia Bonaparte, die Principessa Borghese, eine ältli-
che Dame, deren Gesicht die Farbe dunkelgelber Wein-
trauben hat, die Contessa Morosini. Marcello Borghese
ist bei allen Damen und keiner, er scheint von der Ferne
ein verständliches Gesicht zu haben, in der Nähe aber
schließen sich seine Wangen über den Mundwinkeln ganz
fremd. Gabriele d’Annunzio, klein und schwach, tanzt
scheinbar schüchtern vor dem Conte Oldofredi, einem
der bedeutendsten Herren des Komitees. Von der Tri-
büne schaut über das Geländer das starke Gesicht
[ ]
Puccinis mit einer Nase, die man eine Trinkernase
nennen könnte.
Aber diese Personen erblickt man nur, wenn man sie
sucht, sonst sieht man überall alles entwertend die lan-
gen Damen der heutigen Mode. Sie ziehen das Gehen
dem Sitzen vor, in ihren Kleidern sitzt es sich nicht gut.
Alle Gesichter, asiatisch verschleiert, werden in einer
leichten Dämmerung getragen. Das am Oberkörper lose
Kleid läßt die ganze Gestalt von rückwärts etwas zagha
erscheinen; ein wie gemischter, ruheloser Eindruck ent-
steht, wenn solche Damen zagha erscheinen! Das Mie-
der liegt tief, kaum noch zu fassen; die Taille scheint
breiter, als gewöhnlich, weil alles schmal ist; diese
Frauen wollen tiefer umarmt sein.
Es war nur der Apparat Leblancs, der bisher gezeigt
wurde. Nun aber kommt der Apparat, mit dem Blériot
den Kanal überflogen hat; keiner hat es gesagt, alle wis-
sen es. Eine lange Pause und Blériot ist in der Lu, man
sieht seinen geraden Oberkörper über den Flügeln, seine
Beine stecken tief als Teil der Maschinerie. Die Sonne hat
sich geneigt und unter dem Baldachin der Tribünen
durch beleuchtet sie die schwebenden Flügel. Hingege-
ben sehn alle zu ihm auf, in keinem Herzen ist für einen
andern Platz. Er fliegt eine kleine Runde und zeigt sich
dann fast senkrecht über uns. Und alles sieht mit gereck-
tem Hals, wie der Monoplan schwankt, von Blériot ge-
packt wird und sogar steigt. Was geschieht denn? Hier
[ ]
oben ist M. über der Erde ein Mensch in einem Holz-
gestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig
übernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehn unten
ganz zurückgedrängt und wesenlos und sehen diesem
Menschen zu.
Alles geht gut vorüber. Der Signalmast zeigt gleichzei-
tig an, daß der Wind günstiger geworden ist und Curtiss
um den großen Preis von Brescia fliegen wird. Also
doch? Kaum verständigt man sich darüber, schon
rauscht der Motor des Curtiss, kaum sieht man hin,
schon fliegt er von uns weg, fliegt über die Ebene, die
sich vor ihm vergrößert, zu den Wäldern in der Ferne,
die jetzt erst aufzusteigen scheinen. Lange geht sein Flug
über
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