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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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her-
     aus, unter einer weiterbrennenden Lampe, richtig beob-
    achten kann, sich entschleiert. Es ist zuerst von den
    dunklen Bergen als besonders schmales Tal zwischen ih-
    nen und unserem Zug hergeschoben, dann durch den
    Morgendunst wie durch Oberlichtfenster weißlich auf-
     gehellt, die Matten erscheinen allmählich frisch, wie nie
    zuvor berührt, saig grün, was mich in diesem trocke-
    nen Jahr sehr in Erstaunen setzt, endlich erbleicht das
    Gras bei steigender Sonne in langsamer Verwandlung. –
    Bäume mit schweren großen Nadelästen, die längs des
     ganzen Stammes bis zum Fuße niederwallen.
    Solche Formen sieht man häufig in Bildern Schweizer
    Maler und ich hielt sie bis heute für nichts als stylisiert.
    Eine Mutter mit ihren Kindern beginnt auf der sau-
    bern Straße den Sonntagspaziergang. Das erinnert mich
     an Gottfried Keller, der von seiner Mutter erzogen
    wurde.
    Im Wiesenland überall die sorgfältigsten Zäune; man-
    [  ]
    che sind aus grauen wie Bleistie zugespitzten Stämmen
    gebaut, o aus halbierten solchen Stämmen. So teilten
    wir als Kinder Bleistie, um den Graphit herauszube-
    kommen. Derartige Zäune habe ich noch nie gesehn. So
    bietet jedes Land Neues im Alltäglichen und man muß 
    sich hüten, der Freude über solche Eindrücke nachge-
    bend das Seltene zu übersehn.
    Richard: Die Schweiz in den ersten Morgenstunden
    sich selbst überlassen. Samuel weckt mich angeblich
    beim Anblick einer sehenswerten Brücke, die aber schon 
    vorbei ist, ehe ich aufschaue, und verscha sich durch
    diesen Griff vielleicht den ersten starken Eindruck von
    der Schweiz. Ich sehe sie zuerst, viel zu lange Zeit, aus
    innerer in äußerer Dämmerung an.
    Ich habe in der Nacht ungewöhnlich gut geschlafen, 
    wie in der Eisenbahn fast immer. Mein Schlaf in der
    Eisenbahn ist förmlich eine reinliche Arbeit. Ich lege
    mich hin, den Kopf zu allerletzt, probiere kurz zum
    Vorspiel einige Lagen, sondere mich von der ganzen Ge-
    sellscha ab, wie sie mich auch von allen Seiten anschau- 
    en möge, indem ich mit dem Überzieher oder der Reise-
    mütze mein Gesicht verdecke und werde von dem an-
    fänglichen Behagen einer neu eingenommenen Körper-
    lage in den Schlaf geweht. Am Anfang ist das Dunkel
    natürlich eine gute Hilfe, im weiteren Verlaufe ist es fast 
    überflüssig. Auch die Unterhaltung könnte fortgehn wie
    früher nur ist es schon so, daß der Mahnung, die ein
    [  ]
    ernstha Schlafender bildet, auch ein entfernt sitzender
    Schwätzer nicht widerstehen kann. Denn es gibt kaum
    einen Ort, wo die größten Gegensätze in der Lebensfüh-
    rung so nah, unvermittelt und überraschend neben ein-
     ander sitzen wie im Koupee und infolge der fortwähren-
    den gegenseitigen Betrachtung in der kürzesten Zeit auf
    einander zu wirken anfangen. Und wenn auch ein Schla-
    fender die andern nicht gleich wieder einschläfert, so
    macht er sie doch stiller oder steigert gar ganz gegen
     seinen Willen ihre Nachdenklichkeit zum Rauchen, so
    wie es leider bei dieser Fahrt geschehen ist, wo ich in der
    guten Lu unaufdringlicher Träume Wolken von Ziga-
    rettenrauch eingeatmet habe.
    Meinen guten Schlaf in der Eisenbahn erkläre ich da-
     mit, daß mich sonst meine aus Überarbeitung stammen-
    de Nervosität durch den Lärm nicht schlafen läßt, den
    sie in mir anrichtet und der in der Nacht von allen zufäl-
    ligen Geräuschen des großen Wohnhauses und der Gas-
    se, von jedem aus der Ferne herannahenden Wagenrol-
     len, jedem Zanken Betrunkener, jedem Schritt auf der
    Treppe angefeuert wird, daß ich o ärgerlich alle Schuld
    auf diesen äußeren Lärm schiebe – während in der Ei-
    senbahn die Gleichmäßigkeit der Fahrtgeräusche, ob es
    nun gerade die arbeitende Federung des Waggons ist,
     oder das sich Reiben der Räder, das Aneinanderschlagen
    der Schienen, das Zittern des ganzen Holz-, Glas- und
    Eisenbaues ein Niveau wie von vollkommener Ruhe bil-
    [  ]
    den, auf dem ich schlafen kann, scheinbar wie ein gesun-
    der Mensch. Dieser Schein weicht natürlich sofort z. B.
    einem vordringenden Pfiff der Lokomotive oder einer
    Veränderung des Fahrttempos oder ganz bestimmt dem
    Eindruck in den Stationen, der sich genau wie durch den 
    ganzen Zug auch durch meinen ganzen Schlaf fortsetzt
    bis zum Erwachen. Dann höre ich ohne Erstaunen die
    Namen von Orten ausrufen, die ich nie zu

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