Drucke zu Lebzeiten
her-
aus, unter einer weiterbrennenden Lampe, richtig beob-
achten kann, sich entschleiert. Es ist zuerst von den
dunklen Bergen als besonders schmales Tal zwischen ih-
nen und unserem Zug hergeschoben, dann durch den
Morgendunst wie durch Oberlichtfenster weißlich auf-
gehellt, die Matten erscheinen allmählich frisch, wie nie
zuvor berührt, saig grün, was mich in diesem trocke-
nen Jahr sehr in Erstaunen setzt, endlich erbleicht das
Gras bei steigender Sonne in langsamer Verwandlung. –
Bäume mit schweren großen Nadelästen, die längs des
ganzen Stammes bis zum Fuße niederwallen.
Solche Formen sieht man häufig in Bildern Schweizer
Maler und ich hielt sie bis heute für nichts als stylisiert.
Eine Mutter mit ihren Kindern beginnt auf der sau-
bern Straße den Sonntagspaziergang. Das erinnert mich
an Gottfried Keller, der von seiner Mutter erzogen
wurde.
Im Wiesenland überall die sorgfältigsten Zäune; man-
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che sind aus grauen wie Bleistie zugespitzten Stämmen
gebaut, o aus halbierten solchen Stämmen. So teilten
wir als Kinder Bleistie, um den Graphit herauszube-
kommen. Derartige Zäune habe ich noch nie gesehn. So
bietet jedes Land Neues im Alltäglichen und man muß
sich hüten, der Freude über solche Eindrücke nachge-
bend das Seltene zu übersehn.
Richard: Die Schweiz in den ersten Morgenstunden
sich selbst überlassen. Samuel weckt mich angeblich
beim Anblick einer sehenswerten Brücke, die aber schon
vorbei ist, ehe ich aufschaue, und verscha sich durch
diesen Griff vielleicht den ersten starken Eindruck von
der Schweiz. Ich sehe sie zuerst, viel zu lange Zeit, aus
innerer in äußerer Dämmerung an.
Ich habe in der Nacht ungewöhnlich gut geschlafen,
wie in der Eisenbahn fast immer. Mein Schlaf in der
Eisenbahn ist förmlich eine reinliche Arbeit. Ich lege
mich hin, den Kopf zu allerletzt, probiere kurz zum
Vorspiel einige Lagen, sondere mich von der ganzen Ge-
sellscha ab, wie sie mich auch von allen Seiten anschau-
en möge, indem ich mit dem Überzieher oder der Reise-
mütze mein Gesicht verdecke und werde von dem an-
fänglichen Behagen einer neu eingenommenen Körper-
lage in den Schlaf geweht. Am Anfang ist das Dunkel
natürlich eine gute Hilfe, im weiteren Verlaufe ist es fast
überflüssig. Auch die Unterhaltung könnte fortgehn wie
früher nur ist es schon so, daß der Mahnung, die ein
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ernstha Schlafender bildet, auch ein entfernt sitzender
Schwätzer nicht widerstehen kann. Denn es gibt kaum
einen Ort, wo die größten Gegensätze in der Lebensfüh-
rung so nah, unvermittelt und überraschend neben ein-
ander sitzen wie im Koupee und infolge der fortwähren-
den gegenseitigen Betrachtung in der kürzesten Zeit auf
einander zu wirken anfangen. Und wenn auch ein Schla-
fender die andern nicht gleich wieder einschläfert, so
macht er sie doch stiller oder steigert gar ganz gegen
seinen Willen ihre Nachdenklichkeit zum Rauchen, so
wie es leider bei dieser Fahrt geschehen ist, wo ich in der
guten Lu unaufdringlicher Träume Wolken von Ziga-
rettenrauch eingeatmet habe.
Meinen guten Schlaf in der Eisenbahn erkläre ich da-
mit, daß mich sonst meine aus Überarbeitung stammen-
de Nervosität durch den Lärm nicht schlafen läßt, den
sie in mir anrichtet und der in der Nacht von allen zufäl-
ligen Geräuschen des großen Wohnhauses und der Gas-
se, von jedem aus der Ferne herannahenden Wagenrol-
len, jedem Zanken Betrunkener, jedem Schritt auf der
Treppe angefeuert wird, daß ich o ärgerlich alle Schuld
auf diesen äußeren Lärm schiebe – während in der Ei-
senbahn die Gleichmäßigkeit der Fahrtgeräusche, ob es
nun gerade die arbeitende Federung des Waggons ist,
oder das sich Reiben der Räder, das Aneinanderschlagen
der Schienen, das Zittern des ganzen Holz-, Glas- und
Eisenbaues ein Niveau wie von vollkommener Ruhe bil-
[ ]
den, auf dem ich schlafen kann, scheinbar wie ein gesun-
der Mensch. Dieser Schein weicht natürlich sofort z. B.
einem vordringenden Pfiff der Lokomotive oder einer
Veränderung des Fahrttempos oder ganz bestimmt dem
Eindruck in den Stationen, der sich genau wie durch den
ganzen Zug auch durch meinen ganzen Schlaf fortsetzt
bis zum Erwachen. Dann höre ich ohne Erstaunen die
Namen von Orten ausrufen, die ich nie zu
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