Drucke zu Lebzeiten
passieren
erwartet habe, wie diesmal Lindau, Konstanz, ich glaube
auch Romanshorn und habe von ihnen weniger Gewinn,
als wenn ich von ihnen nur geträumt hätte, im Gegenteil
nur Störung. Erwache ich während der Fahrt, dann ist
das Erwachen stärker, weil es wie gegen die Natur des
Eisenbahnschlafes ist. Ich öffne die Augen und wende
mich einen Augenblick zum Fenster. Viel sehe ich da
nicht, und was ich sehe, ist mit dem nachlässigen Ge-
dächtnis des Träumenden erfaßt. Doch möchte ich
schwören, daß ich irgendwo im Würtembergischen, wie
wenn ich auch dieses Würtembergische ausdrücklich er-
kannt hätte, um zwei Uhr in der Nacht einen Mann
gesehen habe, der auf der Veranda seines Landhauses
sich zum Geländer beugte. Hinter ihm war die Tür sei-
nes beleuchteten Schreibzimmers halb geöffnet, als sei er
nur herausgekommen, um vor dem Schlaf noch den
Kopf zu kühlen. … In Lindau war im Bahnhof, aber
auch während der Einfahrt und der Ausfahrt viel Gesang
in der Nacht und weil man überhaupt in einer solchen
[ ]
Fahrt in der Nacht von Samstag auf Sonntag viel nächtli-
ches Leben auf weiten Strecken, nur leicht im Schlaf
beirrt, zusammenkehrt, scheint einem der Schlaf beson-
ders tief und die Unruhe draußen besonders laut zu sein.
Auch die Schaffner, die ich öers an meiner getrübten
Fensterscheibe vorüberlaufen sah, und die niemanden
wecken, sondern nur ihre Pflicht erfüllen wollten, riefen
in der Leere der Bahnhofsräume überlaut eine Silbe des
Stationsnamens zu uns herein und weiterhin die andern.
Dann lockte es meine Reisegenossen sich den Namen
zusammenzusetzen oder sie erhoben sich, um durch die
immer wieder abgewischte Scheibe den Namen selbst zu
lesen; mein Kopf aber fiel schon zurück aufs Holz.
Wenn man aber schon einmal so gut im Fahren schla-
fen kann wie ich – Samuel durchsitzt die ganze Nacht
mit offenen Augen, wie er behauptet – dann sollte man
auch erst bei der Ankun erwachen dürfen, um sich
nicht im Augenblick des Aufwachens aus gesundem
Schlaf mit fettigem Gesicht, nassem Körper, kreuz und
quer gedrückten Haaren, in Wäsche und Kleidern, die
Stunden, ohne geputzt und gelüet zu werden, im
Eisenbahnstaub bestanden habend, in einen Winkel des
Koupees gekrümmt zu finden und in diesem Zustand
weiterfahren zu müssen. Hätte man jetzt die Kra dazu,
würde man den Schlaf verfluchen, so aber beneidet man
nur im Stillen Leute, die wie Samuel, vielleicht nur weil-
chenweise geschlafen haben, aber dafür auch besser auf
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sich achten konnten, fast die ganze Fahrt mit Bewußt-
sein gemacht haben und die durch die Unterdrückung
des Schlafes, dessen sie schließlich auch fähig gewesen
wären, bei ununterbrochenem klarem Verstande geblie-
ben sind. Ich war ja Samuel am Morgen ausgeliefert.
Wir standen nebeneinander beim Fenster, ich nur sei-
netwegen, und während er mir zeigte, was von der
Schweiz zu sehen war und von dem erzählte, was ich
verschlafen hatte, nickte ich und bewunderte, wie er
wollte. Es ist noch ein Glück, daß er solche Zustände an
mir entweder nicht merkt oder nicht richtig beurteilt,
denn gerade zu solchen Zeiten ist er freundlicher zu mir,
als dann, wenn ich es besser verdiene. Ernstha aber
dachte ich damals nur an die Lippert. Ein wahres Urteil
über neue kurze Bekanntschaen, besonders mit Frau-
en, kann ich mir ja nur schwer bilden. In der Zeit näm-
lich, in der die Bekanntscha im Gange ist, beaufsichtige
ich lieber mich selbst, weil da viel zu tun ist, und so habe
ich auch an ihr nur einen lächerlichen Teil von dem be-
merkt, was ich flüchtig und gleich verloren an ihr ahnte.
In der Erinnerung wiederum nehmen diese Bekannt-
schaen sofort große anbetungswürdige Formen an, da
sie dort stumm sind, nur ihrer eigenen Beschäigung
nachgehn und durch ihr völliges Vergessen unserer Per-
son ihre Mißachtung unserer Bekanntscha zeigen.
Doch war noch ein anderer Grund, weshalb ich mich
nach Dora, dem nächsten Mädchen meiner Erinnerung,
[ ]
so sehnte. Samuel genügte mir an diesem Morgen nicht.
Er wollte als mein Freund eine Reise mit mir machen,
aber das war nicht viel. Das bedeutete nur, daß ich an
allen Tagen dieser Reise einen angezogenen Mann neben
mir haben werde, dessen Körper ich nur im Bade sehen
kann, ohne
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