Drucke zu Lebzeiten
Kellergewölbe des
Händlers, in dem er tief unten an seinem Tischchen kau-
ert und schreibt; um die übergroße Hitze abzulassen,
hat er die Tür geöffnet.
„Kohlenhändler!“ rufe ich mit vor Kälte hohl ge-
brannter Stimme, in Rauchwolken des Atems gehüllt,
„bitte Kohlenhändler, gib mir ein wenig Kohle. Mein
Kübel ist schon so leer, daß ich auf ihm reiten kann. Sei
so gut. Bis ich kann, bezahl ichs.“
Der Händler legt die Hand ans Ohr. „Hör ich recht?“
fragt er über die Schulter weg seine Frau, die auf der
Ofenbank strickt, „hör ich recht? Eine Kundscha.“
„Ich höre gar nichts“, sagt die Frau, ruhig aus- und
einatmend über den Stricknadeln, wohlig im Rücken ge-
wärmt.
„O ja“, rufe ich, „ich bin es; eine alte Kundscha;
treu ergeben; nur augenblicklich mittellos.“
„Frau“, sagt der Händler, „es ist, es ist jemand; so
sehr kann ich mich doch nicht täuschen; eine alte, eine
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sehr alte Kundscha muß es sein, die mir so zum Herzen
zu sprechen weiß.“
„Was hast du, Mann?“ sagt die Frau und drückt, einen
Augenblick ausruhend, die Handarbeit an die Brust,
„niemand ist es; die Gasse ist leer; alle unsere Kund-
scha ist versorgt; wir könnten für Tage das Geschä
sperren und ausruhn.“
„Aber ich sitze doch hier auf dem Kübel“, rufe ich
und gefühllose Tränen der Kälte verschleiern mir die
Augen, „bitte seht doch herauf; Ihr werdet mich gleich
entdecken; um eine Schaufel voll bitte ich; und gebt Ihr
zwei, macht Ihr mich überglücklich. Es ist doch schon
alle übrige Kundscha versorgt. Ach, hörte ich es doch
schon in dem Kübel klappern!“
„Ich komme“, sagt der Händler und kurzbeinig will
er die Kellertreppe emporsteigen, aber die Frau ist schon
bei ihm, hält ihn beim Arm fest und sagt: „Du bleibst.
Läßt du von deinem Eigensinn nicht ab, so gehe ich
hinauf. Erinnere dich an deinen schweren Husten heute
nachts. Aber für ein Geschä und sei es auch ein einge-
bildetes, vergißt du Frau und Kind und opferst deine
Lungen. Ich gehe.“ „Dann nenn ihm aber alle Sorten,
die wir auf Lager haben; die Preise rufe ich dir nach.“
„Gut“, sagt die Frau und steigt zur Gasse auf. Natürlich
sieht sie mich gleich.
„Frau Kohlenhändlerin“, rufe ich, „ergebenen Gruß;
nur eine Schaufel Kohle; gleich hier in den Kübel; ich
[ ]
führe sie selbst nach Hause; eine Schaufel von der
schlechtesten. Ich bezahle sie natürlich voll, aber nicht
gleich, nicht gleich.“ Was für ein Glockenklang sind die
zwei Worte „nicht gleich“ und wie sinnverwirrend mi-
schen sie sich mit dem Abendläuten, das eben vom na-
hen Kirchturm zu hören ist.
„Was will er also haben?“ ru der Händler. „Nichts“,
ru die Frau zurück, „es ist ja nichts; ich sehe nichts, ich
höre nichts; nur sechs Uhr läutet es und wir schließen.
Ungeheuer ist die Kälte; morgen werden wir wahr-
scheinlich doch viel Arbeit haben.“
Sie sieht nichts und hört nichts; aber dennoch löst sie
das Schürzenband und versucht mich mit der Schürze
fortzuwehen. Leider gelingt es. Alle Vorzüge eines guten
Reittieres hat mein Kübel; Widerstandskra hat er
nicht; zu leicht ist er; eine Frauenschürze jagt ihm die
Beine vom Boden.
„Du Böse!“ rufe ich noch zurück, während sie, zum
Geschä sich wendend, halb verächtlich, halb befriedigt
mit der Hand in die Lu schlägt, „du Böse! Um eine
Schaufel von der schlechtesten habe ich gebeten und du
hast sie mir nicht gegeben.“ Und damit steige ich in die
Regionen der Eisgebirge und verliere mich auf Nimmer-
wiedersehn.
[ ]
Zu dieser Ausgabe
Kaas Verhältnis zur Veröffentlichung seiner eigenen
Texte war zwiespältig und voller Widersprüche. Als sein
Freund Max Brod ihn am . Juni beim Rowohlt
Verlag eingeführt hatte, den zu dieser Zeit noch Ernst
Rowohlt und Kurt Wolff gemeinsam leiteten, schrieb
Kaa am . August mit Bezug auf die Publika-
tionszusage für den Band ,Betrachtung‘ an den Verleger:
„Hier lege ich Ihnen die kleine Prosa vor, die Sie zu
sehen wünschen … Während ich sie für diesen Zweck
zusammenstellte, hatte ich manchmal die Wahl zwischen
der Beruhigung meines Verantwortungsgefühls und der
Gier, unter Ihren schönen Büchern auch ein Buch
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