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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Vorteil suchen. Denn das
    durchschaut man und läßt sich bald mit Vergnügen stär-
    ker abstoßen, als sie wahrscheinlich gewünscht haben. –
    Nach dieser nicht ganz saubern Reisebekanntscha 
    war es ein besonderes Vergnügen, eine eigens für Hän-
    de- und Gesichtwaschen eingerichtete Anstalt auf dem
    Bahnhof zu finden. Man öffnet uns eine „Kabine“; aller-
    dings könnte man sich schönere Waschgelegenheiten
    denken, auch haben wir nur gerade noch Zeit, mit unse- 
    ren Kleidern bepackt uns in der Enge zwischen den zwei
    Waschbecken hin und her zu drehn, trotzdem sind wir
    einig, daß Kultur in dieser reichsdeutschen Einrichtung
    liegt. In Prag könnte man lange auf den Bahnhöfen her-
    umsuchen, ehe man so etwas fände.
    
    Wir steigen in das Koupee ein, in dem wir zu Richards
    Herzklopfen unser Gepäck gelassen hatten. Richard
    [  ]
    macht seine bekannten Schlafvorbereitungen, indem er
    sein Plaid als Kopfpolster unterlegt und den aufgehäng-
    ten Havelock als Baldachin um sein Gesicht herabhän-
    gen läßt. Es gefällt mir, daß er, wenigstens wenn es sich
     um seinen Schlaf handelt, rücksichtslos ist, z. B. die
    Lampe verdunkelt, ohne zu fragen, trotzdem er weiß,
    daß ich in der Eisenbahn nicht schlafen kann. Er streckt
    sich auf seiner Bank aus, als ob er ein besonderes Recht
    vor den Mitreisenden hätte. Er schlä auch sofort fried-
     lich ein. Und dabei hat der Mensch immerfort über
    Schlaflosigkeit zu klagen.
    Im Koupee sitzen noch zwei junge Franzosen. (Gen-
    fer Gymnasiasten.) Der eine, schwarzhaarige, lacht im-
    merfort, sogar darüber, daß ihn Richard kaum sitzen
     läßt (so streckt er sich aus), dann darüber, daß er einen
    Augenblick, in dem sich Richard erhebt und die Gesell-
    scha bittet nicht soviel zu rauchen, benützt um einen
    Teil von Richards Lagerplatz zu besetzen. Solche kleine
    Kämpfe werden unter Fremdsprachigen stumm und da-
     her mit großer Leichtigkeit ausgefochten, ohne Ent-
    schuldigungen und ohne Vorwürfe. – Die Franzosen
    verkürzen sich die Nacht, indem sie eine Blechbüchse
    mit Kakes einander hin- und herreichen oder Zigaretten
    drehn oder jeden Augenblick auf den Gang hinausgehn,
     einander rufen, wieder hereinkommen. In Lindau (sie
    sagen „Lendó“) lachen sie herzlich und für diese Nacht-
    zeit überraschend hell über den österreichischen Kon-
    [  ]
    dukteur. Kondukteure eines fremden Staates wirken un-
    widerstehlich komisch, so auch auf uns der bayrische in
    Furth mit seiner großen roten Tasche, die ihm tief unten
    um die Beine schlenkerte. – Langdauernde Aussicht auf
    den von den Zugslichtern beleuchteten und geglätteten 
    Bodensee bis hinüber zu den fernen Lichtern der jensei-
    tigen Ufer, finster und dunstig. Mir fällt ein altes Schul-
    gedicht ein, „Der Reiter über den Bodensee“. Ich ver-
    bringe eine hübsche Zeit damit, es mir aus dem Gedächt-
    nis wiederherzustellen. – Eindringen dreier Schweizer. 
    Einer raucht. Einer, der dann auch nach dem Aussteigen
    der zwei andern zurückbleibt, ist zuerst unwesentlich,
    klärt sich aber gegen Morgen auf. Er hat den Streitigkei-
    ten zwischen Richard und dem schwarzen Franzosen ein
    Ende gemacht, indem er gleichsam beiden Unrecht gab 
    und sich für den ganzen Rest der Nacht steif zwischen
    sie setzte, den Bergstock zwischen den Beinen. Richard
    zeigt, daß er auch sitzend schlafen kann.
    Die Schweiz überrascht durch die alleinstehenden,
    daher scheinbar besonders aufrechten selbstständigen 
    Häuser in allen Städtchen, Dörfern längs der ganzen
    Eisenbahnstrecke. Keine Gassenbildung in St. Gallen.
    Vielleicht drückt sich darin der gut deutsche Partikula-
    rismus jedes Einzelnen aus, – von Terrainschwierigkei-
    ten unterstützt. Jedes Haus mit seinen dunkelgrünen 
    Fensterläden und viel grüner Farbe in Fachwerk und
    Geländer hat einen villenähnlichen Charakter. Trägt
    [  ]
    trotzdem eine Firma, nur eine, Familie und Geschä
    scheinen nicht unterschieden. Diese Einrichtung, Ge-
    schäsunternehmungen in Villen zu betreiben, erinnert
    mich stark an R. Walsers Roman „Der Gehilfe“.
     Es ist Sonntag, fünf Uhr früh, . August. Alle Fenster
    noch geschlossen, alles schlä. Immer das Gefühl, daß
    wir, in diesen Zug gesperrt, die einzige schlechte Lu
    weit und breit atmen, während das Land draußen in
    natürlicher Weise, die man nur aus einem Nachtzug

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