Drucke zu Lebzeiten
York mitge-
kommen war, konnte die Schiffsgesellscha gerade noch
sagen. Leid tat es aber Karl, daß er die Sachen im Koffer
[ ]
noch kaum verwendet hatte, trotzdem er es beispiels-
weise längst nötig gehabt hätte, das Hemd zu wechseln.
Da hatte er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt, wo er
es gerade am Beginn seiner Lauahn nötig haben wür-
de, rein gekleidet aufzutreten, würde er im schmutzigen
Hemd erscheinen müssen. Sonst wäre der Verlust des
Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der Anzug, den
er anhatte, war sogar besser, als jener im Koffer, der
eigentlich nur ein Notanzug war, den die Mutter noch
knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt erin-
nerte er sich auch, daß im Koffer noch ein Stück Verone-
ser Salami war, die ihm die Mutter als Extragabe einge-
packt hatte, von der er jedoch nur den kleinsten Teil
hatte aufessen können, da er während der Fahrt ganz
ohne Appetit gewesen war und die Suppe, die im Zwi-
schendeck zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt hat-
te. Jetzt hätte er aber die Wurst gern bei der Hand ge-
habt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn solche Leu-
te sind leicht gewonnen, wenn man ihnen irgendeine
Kleinigkeit zusteckt, das wußte Karl noch von seinem
Vater her, welcher durch Zigarrenverteilung alle die
niedrigeren Angestellten gewann, mit denen er geschä-
lich zu tun hatte. Jetzt besaß Karl an Verschenkbarem
nur noch sein Geld, und das wollte er, wenn er schon
vielleicht den Koffer verloren haben sollte, vorläufig
nicht anrühren. Wieder kehrten seine Gedanken zum
Koffer zurück, und er konnte jetzt wirklich nicht einse-
[ ]
hen, warum er den Koffer während der Fahrt so auf-
merksam bewacht hatte, daß ihm die Wache fast den
Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen gleichen Kof-
fer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte
sich an die fünf Nächte, während derer er einen kleinen
Slowaken, der zwei Schlafstellen links von ihm gelegen
war, unausgesetzt im Verdacht gehabt hatte, daß er es
auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte
nur darauf gelauert, daß Karl endlich, von Schwäche
befallen, für einen Augenblick einnicke, damit er den
Koffer mit einer langen Stange, mit der er immer wäh-
rend des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen
könne. Bei Tage sah dieser Slowake genug unschuldig
aus, aber kaum war die Nacht gekommen, erhob er sich
von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig zu
Karls Koffer hinüber. Karl konnte dies ganz deutlich
erkennen, denn immer hatte hie und da jemand mit der
Unruhe des Auswanderers ein Lichtchen angezündet,
trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten war,
und versuchte, unverständliche Prospekte der Auswan-
derungsagenturen zu entziffern. War ein solches Licht in
der Nähe, dann konnte Karl ein wenig eindämmern, war
es aber in der Ferne oder war dunkel, dann mußte er die
Augen offenhalten. Diese Anstrengung hatte ihn recht
erschöp, und nun war sie vielleicht ganz nutzlos gewe-
sen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo
treffen sollte!
[ ]
In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Fer-
ne in die bisherige vollkommene Ruhe hinein kleine kur-
ze Schläge, wie von Kinderfüßen, sie kamen näher mit
verstärktem Klang und nun war es ein ruhiger Marsch
von Männern. Sie gingen offenbar, wie es in dem schma-
len Gang natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klir-
ren wie von Waffen. Karl, der schon nahe daran gewesen
war, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer
und Slowaken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte
auf und stieß den Heizer an, um ihn endlich aufmerksam
zu machen, denn der Zug schien mit seiner Spitze die
Tür gerade erreicht zu haben. „Das ist die Schiffskapel-
le“, sagte der Heizer, „die haben oben gespielt und ge-
hen jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können
gehen. Kommen Sie!“ Er faßte Karl bei der Hand, nahm
noch im letzten Augenblick ein eingerahmtes Mutter-
gottesbild von der Wand über dem Bett, stope es in
seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit
Karl eilig die Kabine.
„Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren
meine Meinung sagen. Es ist kein Passagier mehr da,
man muß keine Rücksicht nehmen.“ Dieses wiederholte
der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen
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