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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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seiner
    Versäumnis längst erstattet. Es war eine Kreatur des
    Chefs, ohne Rückgrat und Verstand. Wie nun, wenn er
    sich krank meldete? Das wäre aber äußerst peinlich und
    verdächtig, denn Gregor war während seines fünähri-
     gen Dienstes noch nicht einmal krank gewesen. Gewiß
    würde der Chef mit dem Krankenkassenarzt kommen,
    würde den Eltern wegen des faulen Sohnes Vorwürfe
    [  ]
    machen und alle Einwände durch den Hinweis auf den
    Krankenkassenarzt abschneiden, für den es ja überhaupt
    nur ganz gesunde, aber arbeitsscheue Menschen gibt.
    Und hätte er übrigens in diesem Falle so ganz unrecht?
    Gregor fühlte sich tatsächlich, abgesehen von einer nach 
    dem langen Schlaf wirklich überflüssigen Schläfrigkeit,
    ganz wohl und hatte sogar einen besonders kräigen
    Hunger.
    Als er dies alles in größter Eile überlegte, ohne sich
    entschließen zu können, das Bett zu verlassen – gerade 
    schlug der Wecker dreiviertel sieben – klope es vorsich-
    tig an die Tür am Kopfende seines Bettes. „Gregor“, rief
    es – es war die Mutter –, „es ist dreiviertel sieben. Woll-
    test du nicht wegfahren?“ Die sane Stimme! Gregor
    erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte, die 
    wohl unverkennbar seine frühere war, in die sich aber,
    wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes,
    schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich
    nur im ersten Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ,
    um sie im Nachklang derart zu zerstören, daß man nicht 
    wußte, ob man recht gehört hatte. Gregor hatte ausführ-
    lich antworten und alles erklären wollen, beschränkte
    sich aber bei diesen Umständen darauf, zu sagen: „Ja, ja,
    danke Mutter, ich stehe schon auf.“ Infolge der Holztür
    war die Veränderung in Gregors Stimme draußen wohl 
    nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit
    dieser Erklärung und schlüre davon. Aber durch das
    [  ]
    kleine Gespräch waren die anderen Familienmitglieder
    darauf aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwar-
    ten noch zu Hause war, und schon klope an der einen
    Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust. „Gre-
     gor, Gregor“, rief er, „was ist denn?“ Und nach einer
    kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer Stimme:
    „Gregor! Gregor!“ An der anderen Seitentür aber klag-
    te leise die Schwester: „Gregor? Ist dir nicht wohl?
    Brauchst du etwas?“ Nach beiden Seiten hin antwortete
     Gregor: „Bin schon fertig“, und bemühte sich, durch
    die sorgfältigste Aussprache und durch Einschaltung
    von langen Pausen zwischen den einzelnen Worten sei-
    ner Stimme alles Auffallende zu nehmen. Der Vater
    kehrte auch zu seinem Frühstück zurück, die Schwester
     aber flüsterte: „Gregor, mach auf, ich beschwöre dich.“
    Gregor aber dachte gar nicht daran aufzumachen, son-
    dern lobte die vom Reisen her übernommene Vorsicht,
    auch zu Hause alle Türen während der Nacht zu ver-
    sperren.
     Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich
    anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das
    Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, im Bett
    würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünigen
    Ende kommen. Er erinnerte sich, schon öers im Bett
     irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen er-
    zeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich
    dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte,
    [  ]
    und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellun-
    gen allmählich auflösen würden. Daß die Veränderung
    der Stimme nichts anderes war, als der Vorbote einer
    tüchtigen Verkühlung, einer Berufskrankheit der Rei-
    senden, daran zweifelte er nicht im geringsten.
    
    Die Decke abzuwerfen war ganz einfach; er brauchte
    sich nur ein wenig aufzublasen und sie fiel von selbst.
    Aber weiterhin wurde es schwierig, besonders weil er
    so ungemein breit war. Er hatte Arme und Hände ge-
    braucht, um sich aufzurichten; statt dessen aber hatte er 
    nur die vielen Beinchen, die ununterbrochen in der ver-
    schiedensten Bewegung waren und die er überdies nicht
    beherrschen konnte. Wollte er eines einmal einknicken,
    so war es das erste, daß es sich streckte; und gelang es
    ihm endlich, mit diesem Bein das auszuführen, was er 
    wollte, so arbeiteten inzwischen alle anderen, wie freige-
    lassen, in höchster, schmerzlicher Aufregung. „Nur sich
    nicht im Bett unnütz

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