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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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äußerst nötig. Aber
    in dem Eigensinn, der ihn, seitdem er Diener war, ergrif-
    fen hatte, bestand er immer darauf, noch länger bei Tisch
     zu bleiben, trotzdem er regelmäßig einschlief, und war
    dann überdies nur mit der größten Mühe zu bewegen,
    den Sessel mit dem Bett zu vertauschen. Da mochten
    Mutter und Schwester mit kleinen Ermahnungen noch
    so sehr auf ihn eindringen, viertelstundenlang schüttelte
     er langsam den Kopf, hielt die Augen geschlossen und
    stand nicht auf. Die Mutter zupe ihn am Ärmel, sagte
    ihm Schmeichelworte ins Ohr, die Schwester verließ ihre
    Aufgabe, um der Mutter zu helfen, aber beim Vater ver-
    fing das nicht. Er versank nur noch tiefer in seinen Ses-
     sel. Erst bis ihn die Frauen unter den Achseln faßten,
    schlug er die Augen auf, sah abwechselnd die Mutter
    und die Schwester an und pflegte zu sagen: „Das ist ein
    Leben. Das ist die Ruhe meiner alten Tage.“ Und auf die
    beiden Frauen gestützt, erhob er sich, umständlich, als
     sei er für sich selbst die größte Last, ließ sich von den
    Frauen bis zur Türe führen, winkte ihnen dort ab und
    ging nun selbständig weiter, während die Mutter ihr
    [  ]
    Nähzeug, die Schwester ihre Feder eiligst hinwarfen, um
    hinter dem Vater zu laufen und ihm weiter behilflich zu
    sein.
    Wer hatte in dieser abgearbeiteten und übermüdeten
    Familie Zeit, sich um Gregor mehr zu kümmern, als 
    unbedingt nötig war? Der Haushalt wurde immer mehr
    eingeschränkt; das Dienstmädchen wurde nun doch ent-
    lassen; eine riesige knochige Bedienerin mit weißem, den
    Kopf umflatterndem Haar kam des Morgens und des
    Abends, um die schwerste Arbeit zu leisten; alles andere 
    besorgte die Mutter neben ihrer vielen Näharbeit. Es
    geschah sogar, daß verschiedene Familienschmuckstük-
    ke, welche früher die Mutter und die Schwester über-
    glücklich bei Unterhaltungen und Feierlichkeiten getra-
    gen hatten, verkau wurden, wie Gregor am Abend aus 
    der allgemeinen Besprechung der erzielten Preise erfuhr.
    Die größte Klage war aber stets, daß man diese für die
    gegenwärtigen Verhältnisse allzugroße Wohnung nicht
    verlassen konnte, da es nicht auszudenken war, wie man
    Gregor übersiedeln sollte. Aber Gregor sah wohl ein, 
    daß es nicht nur die Rücksicht auf ihn war, welche eine
    Übersiedlung verhinderte, denn ihn hätte man doch in
    einer passenden Kiste mit ein paar Lulöchern leicht
    transportieren können; was die Familie hauptsächlich
    vom Wohnungswechsel abhielt, war vielmehr die völlige 
    Hoffnungslosigkeit und der Gedanke daran, daß sie mit
    einem Unglück geschlagen war, wie niemand sonst im
    [  ]
    ganzen Verwandten- und Bekanntenkreis. Was die Welt
    von armen Leuten verlangt, erfüllten sie bis zum äußer-
    sten, der Vater holte den kleinen Bankbeamten das Früh-
    stück, die Mutter opferte sich für die Wäsche fremder
     Leute, die Schwester lief nach dem Befehl der Kunden
    hinter dem Pulte hin und her, aber weiter reichten die
    Kräe der Familie schon nicht. Und die Wunde im Rük-
    ken fing Gregor wie neu zu schmerzen an, wenn Mutter
    und Schwester, nachdem sie den Vater zu Bett gebracht
     hatten, nun zurückkehrten, die Arbeit liegen ließen, na-
    he zusammenrückten, schon Wange an Wange saßen;
    wenn jetzt die Mutter, auf Gregors Zimmer zeigend,
    sagte: „Mach’ dort die Tür zu, Grete,“ und wenn nun
    Gregor wieder im Dunkel war, während nebenan die
     Frauen ihre Tränen vermischten oder gar tränenlos den
    Tisch anstarrten.
    Die Nächte und Tage verbrachte Gregor fast ganz oh-
    ne Schlaf. Manchmal dachte er daran, beim nächsten
    Offnen der Tür die Angelegenheiten der Familie ganz so
     wie früher wieder in die Hand zu nehmen; in seinen
    Gedanken erschienen wieder nach langer Zeit der Chef
    und der Prokurist, die Kommis und die Lehrjungen, der
    so begriffsstutzige Hausknecht, zwei drei Freunde aus
    anderen Geschäen, ein Stubenmädchen aus einem Ho-
     tel in der Provinz, eine liebe, flüchtige Erinnerung, eine
    Kassiererin aus einem Hutgeschä, um die er sich ernst-
    ha, aber zu langsam beworben hatte – sie alle erschie-
    [  ]
    nen untermischt mit Fremden oder schon Vergessenen,
    aber statt ihm und seiner Familie zu helfen, waren sie
    sämtlich unzugänglich, und er war froh, wenn sie ver-
    schwanden. Dann aber war er wieder gar nicht in der
    Laune, sich um seine Familie zu sorgen,

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