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Drucke zu Lebzeiten

Drucke zu Lebzeiten

Titel: Drucke zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Entfernung, dann werden Sie alles
    gut sehen können.“ Er zeigte das erste Blatt. Der Rei- 
    sende hätte gerne etwas Anerkennendes gesagt, aber er
    sah nur labyrinthartige, einander vielfach kreuzende Li-
    nien, die so dicht das Papier bedeckten, daß man nur mit
    Mühe die weißen Zwischenräume erkannte. „Lesen
    Sie“, sagte der Offizier. „Ich kann nicht“, sagte der Rei- 
    sende. „Es ist doch deutlich“, sagte der Offizier. „Es ist
    sehr kunstvoll“, sagte der Reisende ausweichend, „aber
    ich kann es nicht entziffern.“ „Ja“, sagte der Offizier,
    lachte und steckte die Mappe wieder ein, „es ist keine
    Schönschri für Schulkinder. Man muß lange darin le- 
    sen. Auch Sie würden es schließlich gewiß erkennen. Es
    darf natürlich keine einfache Schri sein; sie soll ja nicht
    [  ]
    sofort töten, sondern durchschnittlich erst in einem
    Zeitraum von zwölf Stunden; für die sechste Stunde ist
    der Wendepunkt berechnet. Es müssen also viele, viele
    Zieraten die eigentliche Schri umgeben; die wirkliche
     Schri umzieht den Leib nur in einem schmalen Gürtel;
    der übrige Körper ist für Verzierungen bestimmt. Kön-
    nen Sie jetzt die Arbeit der Egge und des ganzen Appa-
    rates würdigen? – Sehen Sie doch!“ Er sprang auf die
    Leiter, drehte ein Rad, rief hinunter: „Achtung, treten
     Sie zur Seite!“, und alles kam in Gang. Hätte das Rad
    nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen. Als sei der
    Offizier von diesem störenden Rad überrascht, drohte er
    ihm mit der Faust, breitete dann, sich entschuldigend,
    zum Reisenden hin die Arme aus und kletterte eilig hin-
     unter, um den Gang des Apparates von unten zu beob-
    achten. Noch war etwas nicht in Ordnung, das nur er
    merkte; er kletterte wieder hinauf, griff mit beiden Hän-
    den in das Innere des Zeichners, glitt dann, um rascher
    hinunterzukommen, statt die Leiter zu benutzen, an der
     einen Stange hinunter und schrie nun, um sich im Lärm
    verständlich zu machen, mit äußerster Anspannung dem
    Reisenden ins Ohr: „Begreifen Sie den Vorgang? Die
    Egge fängt zu schreiben an; ist sie mit der ersten Anlage
    der Schri auf dem Rücken des Mannes fertig, rollt die
     Watteschicht und wälzt den Körper langsam auf die Sei-
    te, um der Egge neuen Raum zu bieten. Inzwischen le-
    gen sich die wundbeschriebenen Stellen auf die Watte,
    [  ]
    welche infolge der besonderen Präparierung sofort die
    Blutung stillt und zu neuer Vertiefung der Schri vorbe-
    reitet. Hier die Zacken am Rande der Egge reißen dann
    beim weiteren Umwälzen des Körpers die Watte von
    den Wunden, schleudern sie in die Grube, und die Egge 
    hat wieder Arbeit. So schreibt sie immer tiefer die zwölf
    Stunden lang. Die ersten sechs Stunden lebt der Verur-
    teilte fast wie früher, er leidet nur Schmerzen. Nach
    zwei Stunden wird der Filz entfernt, denn der Mann hat
    keine Kra zum Schreien mehr. Hier in diesen elektrisch 
    geheizten Napf am Kopfende wird warmer Reisbrei ge-
    legt, aus dem der Mann, wenn er Lust hat, nehmen kann,
    was er mit der Zunge erhascht. Keiner versäumt die Ge-
    legenheit. Ich weiß keinen, und meine Erfahrung ist
    groß. Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnü- 
    gen am Essen. Ich knie dann gewöhnlich hier nieder und
    beobachte diese Erscheinung. Der Mann schluckt den
    letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im Mund und speit
    ihn in die Grube. Ich muß mich dann bücken, sonst
    fährt es mir ins Gesicht. Wie still wird dann aber der 
    Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blöde-
    sten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbrei-
    tet es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich
    mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja nichts wei-
    ter, der Mann fängt bloß an, die Schri zu entziffern, er 
    spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist
    nicht leicht, die Schri mit den Augen zu entziffern;
    [  ]
    unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden. Es
    ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs Stunden zu
    ihrer Vollendung. Dann aber spießt ihn die Egge voll-
    ständig auf und wir ihn in die Grube, wo er auf das
     Blutwasser und die Watte niederklatscht. Dann ist das
    Gericht zu Ende, und wir, ich und der Soldat, scharren
    ihn ein.“
    Der Reisende hatte das Ohr zum Offizier geneigt und
    sah, die Hände in den Rocktaschen, der Arbeit der Ma-
     schine zu.

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