Drucke zu Lebzeiten
Entfernung, dann werden Sie alles
gut sehen können.“ Er zeigte das erste Blatt. Der Rei-
sende hätte gerne etwas Anerkennendes gesagt, aber er
sah nur labyrinthartige, einander vielfach kreuzende Li-
nien, die so dicht das Papier bedeckten, daß man nur mit
Mühe die weißen Zwischenräume erkannte. „Lesen
Sie“, sagte der Offizier. „Ich kann nicht“, sagte der Rei-
sende. „Es ist doch deutlich“, sagte der Offizier. „Es ist
sehr kunstvoll“, sagte der Reisende ausweichend, „aber
ich kann es nicht entziffern.“ „Ja“, sagte der Offizier,
lachte und steckte die Mappe wieder ein, „es ist keine
Schönschri für Schulkinder. Man muß lange darin le-
sen. Auch Sie würden es schließlich gewiß erkennen. Es
darf natürlich keine einfache Schri sein; sie soll ja nicht
[ ]
sofort töten, sondern durchschnittlich erst in einem
Zeitraum von zwölf Stunden; für die sechste Stunde ist
der Wendepunkt berechnet. Es müssen also viele, viele
Zieraten die eigentliche Schri umgeben; die wirkliche
Schri umzieht den Leib nur in einem schmalen Gürtel;
der übrige Körper ist für Verzierungen bestimmt. Kön-
nen Sie jetzt die Arbeit der Egge und des ganzen Appa-
rates würdigen? – Sehen Sie doch!“ Er sprang auf die
Leiter, drehte ein Rad, rief hinunter: „Achtung, treten
Sie zur Seite!“, und alles kam in Gang. Hätte das Rad
nicht gekreischt, es wäre herrlich gewesen. Als sei der
Offizier von diesem störenden Rad überrascht, drohte er
ihm mit der Faust, breitete dann, sich entschuldigend,
zum Reisenden hin die Arme aus und kletterte eilig hin-
unter, um den Gang des Apparates von unten zu beob-
achten. Noch war etwas nicht in Ordnung, das nur er
merkte; er kletterte wieder hinauf, griff mit beiden Hän-
den in das Innere des Zeichners, glitt dann, um rascher
hinunterzukommen, statt die Leiter zu benutzen, an der
einen Stange hinunter und schrie nun, um sich im Lärm
verständlich zu machen, mit äußerster Anspannung dem
Reisenden ins Ohr: „Begreifen Sie den Vorgang? Die
Egge fängt zu schreiben an; ist sie mit der ersten Anlage
der Schri auf dem Rücken des Mannes fertig, rollt die
Watteschicht und wälzt den Körper langsam auf die Sei-
te, um der Egge neuen Raum zu bieten. Inzwischen le-
gen sich die wundbeschriebenen Stellen auf die Watte,
[ ]
welche infolge der besonderen Präparierung sofort die
Blutung stillt und zu neuer Vertiefung der Schri vorbe-
reitet. Hier die Zacken am Rande der Egge reißen dann
beim weiteren Umwälzen des Körpers die Watte von
den Wunden, schleudern sie in die Grube, und die Egge
hat wieder Arbeit. So schreibt sie immer tiefer die zwölf
Stunden lang. Die ersten sechs Stunden lebt der Verur-
teilte fast wie früher, er leidet nur Schmerzen. Nach
zwei Stunden wird der Filz entfernt, denn der Mann hat
keine Kra zum Schreien mehr. Hier in diesen elektrisch
geheizten Napf am Kopfende wird warmer Reisbrei ge-
legt, aus dem der Mann, wenn er Lust hat, nehmen kann,
was er mit der Zunge erhascht. Keiner versäumt die Ge-
legenheit. Ich weiß keinen, und meine Erfahrung ist
groß. Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnü-
gen am Essen. Ich knie dann gewöhnlich hier nieder und
beobachte diese Erscheinung. Der Mann schluckt den
letzten Bissen selten, er dreht ihn nur im Mund und speit
ihn in die Grube. Ich muß mich dann bücken, sonst
fährt es mir ins Gesicht. Wie still wird dann aber der
Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blöde-
sten auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbrei-
tet es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich
mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja nichts wei-
ter, der Mann fängt bloß an, die Schri zu entziffern, er
spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist
nicht leicht, die Schri mit den Augen zu entziffern;
[ ]
unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden. Es
ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs Stunden zu
ihrer Vollendung. Dann aber spießt ihn die Egge voll-
ständig auf und wir ihn in die Grube, wo er auf das
Blutwasser und die Watte niederklatscht. Dann ist das
Gericht zu Ende, und wir, ich und der Soldat, scharren
ihn ein.“
Der Reisende hatte das Ohr zum Offizier geneigt und
sah, die Hände in den Rocktaschen, der Arbeit der Ma-
schine zu.
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