Drucke zu Lebzeiten
Höhe und wollte den Kopf zur Grube hindrehen;
aber es war zu spät, der Unrat floß schon an der Maschi-
ne hinab. „Alles Schuld des Kommandanten!“ schrie der
Offizier und rüttelte besinnungslos vorn an den Mes-
singstangen, „die Maschine wird mir verunreinigt wie
ein Stall.“ Er zeigte mit zitternden Händen dem Reisen-
den, was geschehen war. „Habe ich nicht stundenlang
dem Kommandanten begreiflich zu machen gesucht, daß
einen Tag vor der Exekution kein Essen mehr verabfolgt
werden soll. Aber die neue milde Richtung ist anderer
Meinung. Die Damen des Kommandanten stopfen dem
Mann, ehe er abgeführt wird, den Hals mit Zuckersa-
chen voll. Sein ganzes Leben hat er sich von stinkenden
Fischen genährt und muß jetzt Zuckersachen essen!
Aber es wäre ja möglich, ich würde nichts einwenden,
aber warum scha man nicht einen neuen Filz an, wie
ich ihn seit einem Vierteljahr erbitte. Wie kann man oh-
ne Ekel diesen Filz in den Mund nehmen, an dem mehr
als hundert Männer im Sterben gesaugt und gebissen
haben?“
[ ]
Der Verurteilte hatte den Kopf niedergelegt und sah
friedlich aus, der Soldat war damit beschäigt, mit dem
Hemd des Verurteilten die Maschine zu putzen. Der Of-
fizier ging zum Reisenden, der in irgendeiner Ahnung
einen Schritt zurücktrat, aber der Offizier faßte ihn bei
der Hand und zog ihn zur Seite. „Ich will einige Worte
im Vertrauen mit Ihnen sprechen“, sagte er, „ich darf
das doch?“ „Gewiß“, sagte der Reisende und hörte mit
gesenkten Augen zu.
„Dieses Verfahren und diese Hinrichtung, die Sie jetzt
zu bewundern Gelegenheit haben, hat gegenwärtig in
unserer Kolonie keinen offenen Anhänger mehr. Ich bin
ihr einziger Vertreter, gleichzeitig der einzige Vertreter
des Erbes des alten Kommandanten. An einen weiteren
Ausbau des Verfahrens kann ich nicht mehr denken, ich
verbrauche alle meine Kräe, um zu erhalten, was vor-
handen ist. Als der alte Kommandant lebte, war die Ko-
lonie von seinen Anhängern voll; die Überzeugungskra
des alten Kommandanten habe ich zum Teil, aber seine
Macht fehlt mir ganz; infolgedessen haben sich die An-
hänger verkrochen, es gibt noch viele, aber keiner ge-
steht es ein. Wenn Sie heute, also an einem Hinrich-
tungstag, ins Teehaus gehen und herumhorchen, werden
Sie vielleicht nur zweideutige Äußerungen hören. Das
sind lauter Anhänger, aber unter dem gegenwärtigen
Kommandanten und bei seinen gegenwärtigen Anschau-
ungen für mich ganz unbrauchbar. Und nun frage ich
[ ]
Sie: Soll wegen dieses Kommandanten und seiner Frau-
en, die ihn beeinflussen, ein solches Lebenswerk“ – er
zeigte auf die Maschine – „zugrunde gehen? Darf man
das zulassen? Selbst wenn man nur als Fremder ein paar
Tage auf unserer Insel ist? Es ist aber keine Zeit zu ver-
lieren, man bereitet etwas gegen meine Gerichtsbarkeit
vor; es finden schon Beratungen in der Kommandatur
statt, zu denen ich nicht zugezogen werde; sogar Ihr
heutiger Besuch scheint mir für die ganze Lage bezeich-
nend; man ist feig und schickt Sie, einen Fremden, vor. –
Wie war die Exekution anders in früherer Zeit! Schon
einen Tag vor der Hinrichtung war das ganze Tal von
Menschen überfüllt; alle kamen nur um zu sehen; früh
am Morgen erschien der Kommandant mit seinen Da-
men; Fanfaren weckten den ganzen Lagerplatz; ich er-
stattete die Meldung, daß alles vorbereitet sei; die Ge-
sellscha – kein hoher Beamte dure fehlen – ordnete
sich um die Maschine; dieser Haufen Rohrsessel ist ein
armseliges Überbleibsel aus jener Zeit. Die Maschine
glänzte frisch geputzt, fast zu jeder Exekution nahm ich
neue Ersatzstücke. Vor hunderten Augen – alle Zu-
schauer standen auf den Fußspitzen bis dort zu den An-
höhen – wurde der Verurteilte vom Kommandanten
selbst unter die Egge gelegt. Was heute ein gemeiner
Soldat tun darf, war damals meine, des Gerichtspräsi-
denten, Arbeit und ehrte mich. Und nun begann die
Exekution! Kein Mißton störte die Arbeit der Maschine.
[ ]
Manche sahen nun gar nicht mehr zu, sondern lagen mit
geschlossenen Augen im Sand; alle wußten: Jetzt ge-
schieht Gerechtigkeit. In der Stille hörte man nur das
Seufzen des Verurteilten, gedämp durch den Filz. Heu-
te gelingt es der Maschine nicht mehr, dem Verurteilten
ein stärkeres Seufzen
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