Drucke zu Lebzeiten
nun von ihm
noch einige sonderbare Eröffnungen. „Nein“, sagte der
Reisende und strich sich über die Stirn hin, „dann weiß
also der Mann auch jetzt noch nicht, wie seine Verteidi-
gung aufgenommen wurde?“ „Er hat keine Gelegenheit
gehabt, sich zu verteidigen“, sagte der Offizier und sah
abseits, als rede er zu sich selbst und wolle den Reisen-
den durch Erzählung dieser ihm selbstverständlichen
[ ]
Dinge nicht beschämen. „Er muß doch Gelegenheit ge-
habt haben, sich zu verteidigen“, sagte der Reisende und
stand vom Sessel auf.
Der Offizier erkannte, daß er in Gefahr war, in der
Erklärung des Apparates für lange Zeit aufgehalten zu
werden; er ging daher zum Reisenden, hing sich in sei-
nen Arm, zeigte mit der Hand auf den Verurteilten, der
sich jetzt, da die Aufmerksamkeit so offenbar auf ihn
gerichtet war, stramm aufstellte – auch zog der Soldat
die Kette an –, und sagte: „Die Sache verhält sich folgen-
dermaßen. Ich bin hier in der Straolonie zum Richter
bestellt. Trotz meiner Tugend. Denn ich stand auch dem
früheren Kommandanten in allen Strafsachen zur Seite
und kenne auch den Apparat am besten. Der Grundsatz,
nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zwei-
fellos. Andere Gerichte können diesen Grundsatz nicht
befolgen, denn sie sind vielköpfig und haben auch noch
höhere Gerichte über sich. Das ist hier nicht der Fall,
oder war es wenigstens nicht beim früheren Komman-
danten. Der neue hat allerdings schon Lust gezeigt, in
mein Gericht sich einzumischen, es ist mir aber bisher
gelungen, ihn abzuwehren, und wird mir auch weiter
gelingen. – Sie wollten diesen Fall erklärt haben; er ist so
einfach, wie alle. Ein Hauptmann hat heute morgens die
Anzeige erstattet, daß dieser Mann, der ihm als Diener
zugeteilt ist und vor seiner Türe schlä, den Dienst ver-
schlafen hat. Er hat nämlich die Pflicht, bei jedem Stun-
[ ]
denschlag aufzustehen und vor der Tür des Hauptmanns
zu salutieren. Gewiß keine schwere Pflicht und eine not-
wendige, denn er soll sowohl zur Bewachung als auch
zur Bedienung frisch bleiben. Der Hauptmann wollte in
der gestrigen Nacht nachsehen, ob der Diener seine
Pflicht erfülle. Er öffnete Schlag zwei Uhr die Tür und
fand ihn zusammengekrümmt schlafen. Er holte die
Reitpeitsche und schlug ihm über das Gesicht. Statt nun
aufzustehen und um Verzeihung zu bitten, faßte der
Mann seinen Herrn bei den Beinen, schüttelte ihn und
rief: ,Wirf die Peitsche weg, oder ich fresse dich.‘ – Das
ist der Sachverhalt. Der Hauptmann kam vor einer Stun-
de zu mir, ich schrieb seine Angaben auf und anschlie-
ßend gleich das Urteil. Dann ließ ich dem Mann die
Ketten anlegen. Das alles war sehr einfach. Hätte ich den
Mann zuerst vorgerufen und ausgefragt, so wäre nur
Verwirrung entstanden. Er hätte gelogen, hätte, wenn
es mir gelungen wäre, die Lügen zu widerlegen, diese
durch neue Lügen ersetzt und so fort. Jetzt aber halte
ich ihn und lasse ihn nicht mehr. – Ist nun alles erklärt?
Aber die Zeit vergeht, die Exekution sollte schon begin-
nen, und ich bin mit der Erklärung des Apparates noch
nicht fertig.“ Er nötigte den Reisenden auf den Sessel
nieder, trat wieder zu dem Apparat und begann: „Wie
Sie sehen, entspricht die Egge der Form des Menschen;
hier ist die Egge für den Oberkörper, hier sind die Eggen
für die Beine. Für den Kopf ist nur dieser kleine Stichel
[ ]
bestimmt. Ist Ihnen das klar?“ Er beugte sich freundlich
zu dem Reisenden vor, bereit zu den umfassendsten Er-
klärungen.
Der Reisende sah mit gerunzelter Stirn die Egge an,
Die Mitteilungen über das Gerichtsverfahren hatten ihn
nicht befriedigt. Immerhin mußte er sich sagen, daß es
sich hier um eine Straolonie handelte, daß hier beson-
dere Maßregeln notwendig waren und daß man bis zum
letzten militärisch vorgehen mußte. Außerdem aber
setzte er einige Hoffnung auf den neuen Kommandan-
ten, der offenbar, allerdings langsam, ein neues Verfah-
ren einzuführen beabsichtigte, das dem beschränkten
Kopf dieses Offiziers nicht eingehen konnte. Aus diesem
Gedankengang heraus fragte der Reisende: „Wird der
Kommandant der Exekution beiwohnen?“ „Es ist nicht
gewiß“, sagte der Offizier, durch die unvermittelte Fra-
ge peinlich berührt, und seine
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