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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Weßling
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müde und deprimiert war, um weiter die Post auszutragen, und sich die Berge an Briefen und Zustellungen immer bedrohlicher in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung türmten, beschloss er, die Briefe zu vernichten. Das Feuer, das er in einer alten Tonne auf seinem Balkon entfacht hatte, griff durch einen unglücklichen Zufall, den er dem Wind und seiner Unaufmerksamkeit verdankte, erst auf die Zeitungen über, die auf einem kleinen Tischchen neben der Tonne lagen, um letztendlich die Markise in Brand zu setzen. Die Nachbarn sahen den Qualm von Walters Balkon, schlossen anhand der Intensität des Rauches darauf, dass Walter wohl nicht im November beschlossen hatte zu grillen, und riefen die Feuerwehr. Die Einsatzkräfte fanden einen völlig verwirrten Walter, der vergeblich versuchte, den Brand mit eilig herbeigetragenen Wasserflaschen zu löschen, und einen beachtlichen Berg an Briefen und Prospekten, die das Feuer gerade fraß. Walter kam in Haft, weil die hinzugerufene Polizei befand, dass das hier ganz eindeutig nach mutmaßlicher Brandstiftung und dem Vernichten von Beweisen aussah, die unmissverständlich gezeigt hätten, dass Walter mindestens drei von sehr vielen Postgesetzen gebrochen hatte. Walter wurde noch am Tag der Vernehmung in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Z. überwiesen, in der er fünf Monate blieb. Um dem drohenden Verfahren gegen ihn zu entgehen, hatte Walter dem Drängen seines Anwalts schließlich nachgegeben und sich im August selbst in die Klinik eingeliefert, um » die Sache auszusitzen«, wie er mit einem Grinsen immer wieder erzählte. Tatsächlich hatte Walter jedoch mehrmals angekündigt, sich das Leben zu nehmen, falls es jemals zum Prozess kommen sollte, und weil dies so sicher war wie die Tatsache, dass nur ein winziger Augenblick ein Feuer entfachen kann, mit dessen Brandwunden man ein Leben lang zurechtkommen muss, wurde Walter von seinem Anwalt in die Klinik gebracht, bis der Prozess gegen ihn im Oktober stattfinden sollte.
    Walter teilt sich das Zimmer mit Florian, einem pickligen Zwanzigjährigen, der ebenfalls angekündigt hatte, sich das Leben zu nehmen, nachdem ihm seine große Liebe, eine unbekannte Schönheit, die er nur von Fotos, zahlreichen Chats und einem einmaligen Telefonat kannte, gestand, dass sie in Wahrheit leider schon vergeben sei und sich bei Florian mit den Worten bedankte: » Du hast mir wieder gezeigt, was ich an ihm habe, ich danke dir so sehr dafür und wünsche dir eine Frau, die dir das gleiche Gefühl von Liebe und Vertrauen geben kann, wie ich es bei meinem Schatz endlich wieder gefunden habe.« Florian hatte daraufhin in einem Chatroom angekündigt » jetzt auch mal Schluss zu machen und zwar mit allem«, woraufhin die Unbekannte, die im Besitz seiner Adresse und Telefonnummer war, erst versucht hatte, ihn anzurufen, und, als er nicht an sein Telefon ging, die Polizei verständigt hatte. Die Beamten trafen auf einen weinenden Florian, der beteuerte, dass all das nur ein Scherz und niemals wirklich ernst gemeint gewesen war, und ließen sich nur durch die Zusage des Vaters davon abhalten, ihn in die Psychiatrie zum diensthabenden Arzt zu überstellen, auf jeden Fall und versprochen, Herr Kommissar! Ganz sicher! Der Vater schwor bei seinem Leben, brachte die Herren zur Tür und verprügelte Florian anschließend so sehr, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Am nächsten Tag fuhr er ihn zum Arzt und verbot ihm mit drohender Stimme, dem Doktor auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu berichten.
    Ebenfalls auf der Station: Andrea und Marie, zwei Frauen in den Dreißigern, die beide an schweren Depressionen und Panikattacken leiden. Miriam, eine blonde Schauspielerin, die eines Tages wegen eines Panikanfalls die Vorstellung nicht spielen konnte und daraufhin nicht mehr in der Lage war, auch nur ein einziges weiteres Mal die Bühne zu betreten. Tanja, eine junge arbeitslose Erzieherin, die nach der Geburt ihres ersten Kindes depressiv wurde und in eine solche Apathie verfiel, dass sie ihr Baby die meiste Zeit nicht einmal anschauen oder anfassen wollte.
    Ein weiteres Zimmer teilen sich zwei Frauen (Anne und Bianka) und eines zwei Männer: Jürgen und Alexander. Die vier sind erst vor wenigen Tagen aufgenommen worden, über sie weiß Isabell also noch nicht genug, als dass sie ihre Geschichten erzählen kann. Sie mutmaßt Krankheiten und Diagnosen, aber im Grunde kennt sie nur Eckpunkte und einige biographische Details wie Alter und

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