Druidenherz
und auch etwas Bargeld. Vielleicht konnte sie einen Taxifahrer überreden, sie zu fahren, wenn sie ihm die Situation erklärte.
Oder die Polizisten würden sich erbarmen und ihr etwas geben. Einige Münzen genügten ja schon. Imogen ging die Straße hinab und stellte fest, dass sie in einer Hightech-Einkaufsmeile gelandet war. Computerläden mit futuristisch aussehenden Geräten reihten sich an Cyber-Cafés und andere Angebote. Sie entdeckte sogar ein Schuhgeschäft, auch wenn es im Schaufenster ebenfalls auf 3- D -Werbung setzte, die versprach, mittels neuester Technologie einen Schuh nach Wünschen und passgenau zu kreieren. Welch eine Verlockung!
Doch dafür hatte sie weder Zeit noch Geld. Wo zum Teufel befand sich denn bloß die nächste Polizeistation? Es musste eine geben – jedes Dorf hatte eine, und wenn es bloß ein kleiner Schuppen in einem Hinterhof war. Dieses Dorf glich eher einer Stadt, also musste sich hier erst recht eine größere Polizeistation finden lassen.
Imogen ging weiter und beachtete weder die Geschäfte noch die ihr entgegenkommenden Menschen. Endlich entdeckte sie einen Bahnhof. Dort gab es mindestens Sicherheitspersonal, sehr wahrscheinlich aber auch eine Bahnhofspolizei und eine Auskunft. Zielstrebig steuerte sie auf die riesige Halle zu und trat an einen Schalter. Er war unbesetzt, dafür fragte eine Computerstimme, welche Route sie fahren wolle.
»Blödes Ding«, murmelte sie und blickte sich um. Irgendwo musste es doch einen Servicemitarbeiter geben – oder hatte man ausgerechnet in diesem Bahnhof alles menschliche Personal wegrationalisiert und setzte nur noch auf Computer?
Ratlos machte Imogen ein paar Schritte und blickte sich um. Reisende hetzten an ihr vorbei. Ein virtueller Kiosk bot Zeitschriften, Zeitungen und Bücher zum Download an, natürlich ebenfalls ohne einen menschlichen Verkäufer.
Imogen beobachtete, wie ein Mann im anthrazitgrauen Anzug seinen E -Reader hervorholte, vor den Store hielt, ein bisschen auf dem Bildschirm herumtippte und dann wohl via Blue-Tooth seine Lektüre herunterlud.
Praktische Sache, aber für sie gerade absolut ungünstig, denn sie besaß keinen Reader, und ihr Handy war ein Opfer der Flammen geworden.
Eine Frau trat zu dem Kiosk, holte ebenfalls ihr Lesegerät hervor und begann zu tippen. Auf der Anzeigetafel vor ihr erschienen die Schriftzüge verschiedener Zeitungen.
Imogen trat zu ihr. »Entschuldigen Sie«, begann sie, »den wievielten haben wir heute?«
Die Frau blickte sie misstrauisch an und schien zu überlegen, ob sie auf die Frage antworten sollte. Ihr Reader gab einen kurzen Piepton von sich. »Den Dritten«, murmelte sie dann und steuerte auf den Aufgang zu den Bahngleisen zu.
Dritter. Das war ja schon mal ein kleiner Anhaltspunkt. Aber welcher Monat? Da es draußen warm war, musste es wohl Sommer sein, allerdings gab es auch im Herbst in Schottland noch heiße Tage.
Sie trat zu einer anderen Frau. Auch diese packte gerade ihren Reader aus und hielt ihn vor das Übertragungsfeld. »Entschuldigen Sie bitte, wo ist denn die nächste Polizeistation?«
Die Frau musterte sie. In ihrem Businesskostüm wirkte sie sehr adrett, und durch die hohen Pumps überragte sie Imogen fast um Haupteslänge. Ein abwertender Blick traf sie. Wahrscheinlich fand sie ihr Lederoutfit mit den flachen Stiefeln und dem weiten Leinenhemd furchtbar unmodisch.
Was für eine blöde Kuh, dachte Imogen zornig. Glaubt die etwa, ich hätte Flöhe? Zugegeben, ihr Haar war ziemlich zerzaust – aber dass ihre Kleidung sauber war, musste doch auch diese Frau erkennen. »Bitte, es ist wirklich wichtig für mich«, sagte sie und überwand sich zu einem freundlichen Lächeln.
»Gegenüber vom Rathaus«, sagte die feine Lady schließlich unendlich herablassend.
»Danke.« Imogen nickte ihr immer noch lächelnd zu, wandte sich um und trat aus dem Bahnhofsgebäude. Das zumindest war schon mal geschafft! Sie konnte nur hoffen, dass die Polizisten ihr nicht mit der gleichen herablassenden Arroganz begegneten.
Nachdem sie einige Schritte die Einkaufspassage hinuntergegangen war, hörte sie eine Kirchturmuhr viermal schlagen. Nachmittag also. Ihr wurde bewusst, dass sie überhaupt kein Zeitgefühl mehr besaß.
Die an ihr vorbeieilenden Leute trugen fast alle ein Headset, in das sie hineinsprachen. Ihre Kleidung jedoch zeigte ein buntes Repertoire. Teens und Twens in Jeans, Miniröcken und bunten Tops waren ebenso dabei wie Frauen mit hochgesteckten Haaren,
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