Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Ronan. In der Ferne stieg ein Heulen in den
Himmel. Leo sprang auf und eilte hinter Ronan her. Lieber
Wallach als Wolfsfutter.
*
Das Licht in seiner kleinen Ecke der Höhle war schlecht,
aber Leo schaffte es trotzdem, das Pergament so zu drehen, dass
er sah, was er zeichnete. Lieber wäre er noch etwas in Richtung
Höhleneingang gerutscht, um das Mondlicht zu nutzen, welches
sich silbrigkühl wie der Schwanz einer Meerfrau über den
Steinboden tastete, vor seiner dunklen Ecke aber scheu Halt
machte. Ronan war so abweisend zu ihm gewesen; er musste ihn
mehr verletzt haben als angenommen.
Seit einer Weile verrieten die ruhigen Atemzüge des
Wolfsjungen, dass er eingeschlafen war und Leo würde den
Teufel tun, ihn zu wecken. Besser, er verhielt sich still. Außerdem
juckte es ihn in den Fingern, Ronan zu zeichnen. Kohle und
Pergament passten glücklicherweise in seine Hose, so dass er
immer bereit war eine Stimmung oder einen Ausdruck
einzufangen. Strich um Strich reihte sich aneinander, er konnte
nicht aufhören zu zeichnen. Er schämte sich seiner Begeisterung,
die jener so ähnlich war, als er das erste Mal zitternd vor Wonne
einen Stift zum Zeichnen in der Hand gehalten hatte. Gestohlen
hatte er ihn, denn in Gagrein wurden Stifte nur benutzt, um
Listen zu führen. Futterlisten. Abstammungslisten. Decklisten. Er
schauderte. Keine von denen wusste, dass man mit einem Stück
Kohle ganze Welten erschaffen konnte. Und was noch schlimmer
war: selbst als er es ihnen gesagt hatte, kümmerte es sie nicht! Die
Gager waren zufrieden mit ihren Listen und ihren Pferden und
ihrer Welt, so zufrieden, dass einem speiübel davon werden
konnte.
Als das Stück Kohle abgenutzt war, versteckte Leo die
Zeichnungen unter dem Shirt, das er immer noch trug. Ronan
hatte nicht gesagt, dass er es ausziehen musste, also hatte er es
angelassen, auch wenn ihm unter der Decke inzwischen zu warm
war. Gähnend rieb er sich das Handgelenk, schob die Kohle unter
die Decke, die ihm als Unterlage diente, rieb sich die Augen und
sank auf sein Lager.
Freunde.
Eine Hand auf die Zeichnungen gepresst, schlief er endlich
ein.
Er wusste nicht, wo er war. Musik, jemand sang, Die
Dunkelheit hatte eher noch zugenommen, es konnte noch nicht
morgens sein.
Wo kam das her?
Die Sprache kannte er nicht, aber diese Stimme drang direkt
in sein Herz. Er robbte leise zum Höhleneingang und sah hinaus.
Ronan saß an der Stelle wo sie vorhin miteinander gesprochen
hatte, umflossen von Mondlicht und sang. Um ihn herum standen
kleine Gefäße auf dem Boden, die so sehr von Mondlicht
beschienen waren, dass es schien als würden Bänder aus dem
Inneren der Töpfe bis zum Mond führen. Gebannt lauschte Leo;
die Art, wie Ronan die Töne setzte erinnerte ihn an seine Striche
beim Malen. Schon im Voraus wusste Leo, welcher Ton der
nächste sein würde. Jeder einzelne Ton war genau so, wie er sein musste , fand in diesem Lied, diesem Moment seine Bestimmung.
Leo spürte wie ihm die Tränen kamen.
Dieser Fremde verstand mehr von seiner Sehnsucht als
seine ganze Familie, die ihr leben lang mit ihm
zusammengewohnt hatte. Anfangs waren die Töne noch leise, als
wolle Ronan ihn nicht wecken. Doch als der Wolfsjunge zum
Höhleneingang sah und sich ihre Blicke trafen, wurde sein
Gesang mutiger. Was für eine Stimme.
Sogar der Mond strahlte heller, zumindest der Teil, der auf
die Gefäße fiel. Leo rührte sich nicht, eine einzige unbedachte
Bewegung und er würde aufwachen, wieder in der dunklen
Höhle liegen- oder nicht?
So lag er nur da und ließ die Töne in seine Seele rinnen wie
Wasser in einen Trog, sammelte die Gefühle, die das Lied ihm
sandte, wie Haferkörner für einen schlechten Winter.
Als der Gesang verklang, musste er sich eine Träne aus dem
Fell wischen. Die Sterne verloren ihren Glanz, warum sang Ronan
nicht weiter?
Schön. So schön.
"Hey", sagte Ronan, sah ihn aber nicht an.
"Hey", krächzte Leo. Was war nur mit seiner Stimme? Er
räusperte sich. "Du singst echt schön."
"Danke." Ronan strahlte. "Das muss ich auch, dann geht es
schneller."
Leo runzelte die Stirn. "Was geht schneller?"
"Das Licht war alle. Also habe ich Neues besorgt."
"Du veräppelst mich", rief Leo.
"Nein, stimmt echt."
Er trat an die Außenwand der Höhle und griff eine Hand
voll runder Deckel.
"Wir Wölfe benutzen keinen Strom. Wenn es hell sein soll,
nutzen wir die Kraft des Mondes. Wir sammeln das Mondlicht in
irdenen Gefäßen."
Sorgsam legte er einen Deckel
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