Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Freude wenn er daran
dachte.
Die Haare, vorne etwas länger als an den Seiten, waren im
Schlaf zur Seite gefallen und gaben den Blick auf Ronans hohe
Stirn mit den einzelnen Sommersprossen frei. Das Licht des
frühen Morgens warf einen zarten Schimmer auf den Flaum der
Wangen. Der breite Mund war eine Herausforderung, aber Leo
legte den Kopf schief und radierte und schraffierte so lange, bis er
den sanften Schwung von Ronans Venusbergen aufs Pergament
gebannt hatte. Als er wieder hochsah, um die Wangenkontur zu
erhaschen, schaute Ronan ihn still aus seinen bronzenen Augen
an.
"Du bist wach" stellte Leo fest. In dem Moment wo es
heraus war ärgerte er sich auch schon. Nicht besonders
einfallsreich.
"Ja."
Gut. Es schien Ronan genauso zu gehen. Verlegen schaute
Leo zur Seite und stutzte. Die wände der Höhle waren in dieser
Ecke mit Zeichnungen überzogen. Er schmunzelte. Ein Talent war
der Maler sicher nicht, aber man konnte deutlich erkennen, um
was es sich handelte.
Er deutete auf die Abbildungen. "Ist das jedes Mal der
gleiche Wolf?"
Ronan gähnte. "Wölfin."
"Was?"
"Es ist eine Wölfin."
"Oh" sagte Leo.
Er hatte keine Lust mehr zu zeichnen, der Zauber des
frühen Morgens war dahin. Wahrscheinlich hatte sich das Licht
geändert, so musste es sein. Er packte die angefangene
Zeichnung, Kohle und Radierer in seine Hosentasche, biss
energisch das letzte Stück von der Möhre ab und warf den
Stummel vor die Höhle. Krachend ließ er seine Zähne immer
wieder auf die Möhrenstücke in seinem Mund niederfahren, bis
sie klein genug waren um einen Junggager damit zu füttern.
Ronan war aufgestanden. "Willst du Frühstück?"
"Mhmh. Die Möhre reichte mir."
"Alles in Ordnung mit dir?" fragte Ronan.
"Sicher. Was soll denn sein?"
"Du bist nur irgendwie- komisch heute Morgen", sagte
Ronan.
Leo riss sich zusammen. Bloß, weil er einen neuen Freund
hatte, hieß das nicht, dass der nicht irgendwen anders an seine
Höhlenwand pinseln durfte. Ronan war wirklich nett zu ihm
gewesen, und so eine tiefe Verbundenheit wie gestern Abend
hatte er noch nie zu jemandem verspürt.
"Es ist wirklich nichts", sagte er, und dieses Mal meinte er es
auch so. Allerdings musste er dringend los. Nur der heilige Zipsel
wusste, ob er Julie überhaupt noch rechtzeitig erreichen konnte,
aber er musste es versuchen. Das schlechte Gewissen nagte an
ihm, aber der sachte Schmerz in seinem Kopf erinnerte ihn daran,
wie wenig freiwillig er hier geblieben war. Von einem Wolf
angefallen zu werden würde auch Anouk als Grund ausreichen;
Ärger würde es also nicht geben. Ihre Drohung würde sie
trotzdem wahr machen; wenn Julie ausfiel musste er zurück nach
Gagrein. Und das- er warf einen Blick auf Ronan, der sich gerade
anzog und im gleichen Moment verstohlen zu ihm herübersahwar absolut das Letzte, was er jetzt wollte.
"Ich muss los."
Ronan hopste ein Stück auf einem Bein und kämpfte mit
seiner Socke. Leo lachte.
"Wirklich? Bleib noch, ich press´ dir Saft, oder so."
"Ne, echt, ich habe etwas Dringendes zu erledigen, es geht
nicht."
"Schade."
Leo wusste, er sollte sich beeilen, aber der Weg zum
Ausgang zog sich wie die Lederstreifen in Honig, die die
Großmütter immer zum Kauen für die Kinder herstellten. Nach
einer gefühlten Ewigkeit war es dann unvermeidlich. Er saß auf
Blau und schaute auf Ronan hinunter.
"Bis dann."
"Bis dann."
Leo warf einen bangen Blick in Richtung Schrund.
Ronans Blick folgte seinem. "Bei Tag ist es nicht gefährlich."
Er nickte erleichtert.
Blau ahnte seinen Fersenschlag bevor er ihn gab und setzte
sich in Bewegung. Ronan griff ihm in den Zügel. Jeden anderen
hätte Leo dafür verprügelt, aber bei Ronan war er froh über den
Aufschub.
"Warte. Kommst du wieder?"
Leo nickte. "Wann sonst kommt man so dicht an jemanden
heran, der einen vielleicht frisst, vielleicht auch nicht? Ist doch
aufregend."
Täuschte er sich oder war der Wolfsjunge rot geworden?
"Warte noch einen winzigen Augenblick, ich will etwas
holen."
Auf dem Weg zur Höhle drehte Ronan sich um , wie um
sich zu vergewissern, dass er auch wirklich nicht los ritt.
Schließlich stand er mit einem Kästchen wieder vor Leo,
hob den Deckel an, nahm etwas heraus, ließ die Kiste achtlos
fallen und streckte ihm in der geschlossenen Faust etwas
entgegen.
"Für dich, nimm schon."
Etwas Kühles, Weiches schmiegte sich in Leos Hand, ein
kleiner Metallanhänger an einer seltsamen, dicken Kette die
aussah wie aus Menschenhaar gedreht. Das
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