Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
abwarten?"
Leo fuhr herum. Ronan stand direkt vor ihm, den Eimer in
der Linken, die andere Hand in die Hüfte gestützt und dazu das
Grinsen, das so typisch für ihn war.
Er konnte es schaffen. Blau war schneller als jeder Wolf. Leo
griff den Zügel, nahm sich aber nicht die Zeit ihn Blau über den
Kopf zu streifen, sondern sprang aufs Pferd und preschte durch
die mondhelle Nacht, zwischen den Bäumen hindurch, fort von
der Höhle und dem Wolf.
Nach einer Weile warf er einen Blick zurück. Der Junge
rannte hinter ihm her, rief : "Warte, warte doch."
Leo sah wieder auf den Weg, duckte sich tiefer über Blaus
Hals. Das Rufen erstarb. Als Leo sich das nächste Mal umschaute,
war von dem Jungen nichts mehr zu sehen. Dafür gab es hier
kaum noch Deckung durch die Bäume, das kleine Waldstück war
zu Ende und ein offener Abschnitt durch das Gelände lag vor
ihm. Ein fernes Heulen erklang. Nach und nach fielen immer
mehr Wölfe mit ein. Dort heulten eindeutig mehr Tiere, als er bei
der Einsetzung des Harfners gesehen hatte. Beim Zipsel, wie viele
von den Biestern gab es denn in diesem Schrund? Er drosselte das
Tempo. Zwar konnte er Blau auch ohne Zügel führen, aber nach
dem Absitzen heute wollte er kein Risiko eingehen, das Pferd war
genauso nervös wie er. Er beugte sich vor, zog Blau einen Zügel
um den Kopf herum und presste sich eng an den Hals des
Pferdes. Er war nicht der einzige der nervös war, denn plötzlich
legte Blau die Ohren an und versuchte erneut zu steigen.
Dieses Mal hatte Leo beide Hände an den Zügeln, er zog die
Riemen stramm und presste Blau seine Schenkel in die Seite um
mehr Halt zu haben. Vorsichtig zwang er seinen Hengst auf den
Boden zurück, ließ Blau noch eine Runde im Kreis gehen- und
ächzte.
Blau war nicht nervös, weil in der Ferne Wolfsgeheul zu
hören war; er drängte fort von dem Wolf, der zu seiner Rechten
am Wegesrand saß.
Als sich ihre Blicke trafen, löste sich die Wolfsgestalt auf
und Ronan sah zu ihm hoch.
"Tu das nicht."
Leo umklammerte die Zügel und zog sie noch ein
Stückchen enger, weil Blau schon wieder tänzelte. "Was denn?"
"Reite nicht durch den Schrund, nicht bei Nacht."
Anouks Warnungen kamen ihm wieder in den Sinn.
"Ich muss."
"Gar nichts musst du."
Im Mondlicht wirkte Ronans Gesicht deutlich jünger als
vorhin in der Höhle und der Bluterguss neben dem Auge ließ ihn
furchtbar verletzlich aussehen; wie alt er wohl war?
"Doch, ich muss einer Freundin helfen. Und es eilt", sagte
Leo. Das Heulen setzte wieder ein; wann hatte es aufgehört?
Ronans Schultern sackten nach vorne, er ließ den Kopf
hängen.
"Ein Mädchen, also", sagte er, dann schlug Ronan die Hände
vor das Gesicht und rieb sich die Augen.
"Alles in Ordnung bei dir?" fragte Leo.
"Nun, ich denke mal, sie werden dich fressen, wenn du jetzt
durch die Schlucht reitest, aber da du mehr Angst vor mir zu
haben scheinst, als vor meinen Brüdern und Schwestern, und es
gar nicht erwarten kannst zu deiner kleinen Freundin zu
kommen, sollte ich wohl endlich aufhören mir den Kopf darüber
zu zerbrechen, wie ich dir deinen haarigen Hintern retten kann
und wieder in meine gemütlich Höhle gehen."
Der Wolfsjunge drehte sich um und marschierte los, ohne
auch nur einmal zurückzuschauen. Leos Blick schweifte über die
schroffen Felsen und das düstere Gestein auf dem Weg, den er zu
nehmen hatte. Er blickte der kleinen weißen Gestalt nach, die sich
so zielstrebig entfernte, als habe sie sein Leben bereits
aufgegeben.
Wieder schwoll das infernalische Heulen der Wölfe an. Und
mit einem Mal wollte er nichts mehr, als zu Ronan in dessen
Höhle.
Verwundert stellte er fest, dass er sich dort sicher gefühlt
hatte.
Mondlicht
Warum war das Leuchten des Blattes Miriella zuerst
aufgefallen? Konnte wirklich jemand noch verzweifelter als sie
das Vergessen herbeisehnen? Oder spürten die Seerosen, dass
Julie tief in ihrem Inneren noch zweifelte?
Himmel, sie fühlte sich Mathys so nah wie nie zuvor. War
das von Bedeutung? Oder nur ein letztes Aufbäumen ihrer Seele,
bevor die große Gleichgültigkeit sie erfasste? Sie atmete tief
durch. Das war bestimmt nur so eine Art Torschlusspanik. Es gab
keinen Ausweg, und alles andere war gleichgültig.
Eine Seerose war noch übrig und sie war allein. In dieser
Nacht konnte nichts schiefgehen.
Julie starrte weiter auf das Wasser, und Erregung stieg in
ihr auf: eines der Blätter begann zu leuchten.
Sie trat ans Ufer des Sees, watete die
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