Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
das liebe Gesicht seiner Mutter,
der strafende Blick seines Vaters, wenn er wieder einmal mit
Staffelei und Pinsel davon geschlichen war. Der Wolf knurrte, die
Lefzen zurückgezogen, die vorderen Zähne klein, aber so weiß
wie die des Jungen, die seitlichen lang und, oh, so spitz.
Er wollte die Augen zusammenkneifen, die letzten
Momente in den flirrenden Resten seiner Welt verbringen, doch
er konnte den Blick nicht von den bronzenen Augen der Kreatur
lösen, die nur eine Handspanne von seinem Gesicht entfernt noch
einmal bedrohlich knurrte. Ihm fiel wieder ein, was er im
Wolfsschrund gewollt hatte. Julie. Sie musste wohl ohne ihn
zurechtkommen.
Die Wolfsfratze war verzerrt, aber die dunkelgraue
Färbung um die Augen herum, die helle Schnauze und der zarte
braune Streifen die Nase herunter brachten die flüchtigen
Eindrücke von zu Hause zum Verschwinden und ließen Leo
wünschen, seinen Farbkasten zur Hand zu haben. Dieses Grau.
Und diese Linien. Was für eine schöne Zeichnung im Fell, dachte
Leo erschüttert. Sein Mitleid mit sich selbst war grenzenlos. Wie
grausam, dass er nie wieder malen würde. Dieser Wolf hatte es
verdient gemalt zu werden.
Leo wehrte sich nicht mehr. Wenn er sterben musste,
warum dann nicht von dieser Komposition aus Form und Farbe
getötet werden? Er legte den Kopf auf die Seite, bot dem Tier
seinen Hals dar und schloss die Augen. Ihm blieb nur noch zu
hoffen, dass es schnell ging.
*
Der erwartete Schmerz blieb aus, stattdessen ließ der Druck
auf Leos Schultern nach und er hörte ein Lachen. Er wollte
aufspringen, sich in Sicherheit bringen, aber er war zu zittrig um
sich auch nur aufzusetzen. Eine Gewissheit durchdrang ihn von
den Zehen bis zur letzten Haarspitze an den Ohren. Er war
entkommen; Ronan hatte ihn gehen lassen.
Der Wolfsjunge hörte auf zu lachen; er kam ganz dicht, und
Leo erbebte erneut, obgleich der Junge seine Menschengestalt
beibehielt.
"Greif mich nie wieder an, hörst du?" Die bronzenen Augen
funkelten unter dem langen Stirnhaar hervor. "Sonst fresse ich
dich vielleicht doch noch."
Leo nickte stumm.
Ronan erhob sich, klopfte sich den Schmutz des
Höhlenbodens von der Hose und reichte Leo die Hand. Wie in
einem Traum gefangen griff er zu, der heilige Zipsel wusste, dass
er nichts weniger wollte als dieses… Monster zu berühren, aber er
wollte den Wolfsjungen auch nicht erneut verärgern.
Der Wolf zog ihn auf die Füße und kniff die Mundwinkel
zusammen, bis sein Mund ganz spitz und klein wirkte. Er schlug
die Augen nieder.
"Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken, ich werde
dich nicht fressen. Also, ich wollte dich schon erschrecken, aber
nicht so doll." Er riss die Arme in die Luft und fuchtelte mit den
Händen. "Warum musstest du mich auch umhauen? Wenn das
jemand gesehen hätte! Ein Wolf von einem Fellbüschel
ausgenockt, ich hab´ auch so schon genug Probleme."
Leos Knie hörten auf zu zittern. Konnte das stimmen? Hatte
Ronan sich so gefühlt wie er selbst, als er vom Pferd gefallen war?
Er konnte Ronan nicht verurteilen dafür, dass er ihn erschreckt
hatte, schließlich wäre es ihm durchaus recht gewesen wenn der
Junge von einem Wolf gefressen worden wäre, damit es keine
Zeugen gab für den peinlichsten Moment seines Lebens. Ronan
wusste nichts davon, aber er wusste es. Genau genommen hatte er
nichts Besseres verdient.
Er tastete nach der Felswand stützte sich ab und sank
langsam zu Boden, bis er mit ausgestreckten Beinen saß.
Ronan kam näher, zögernd. "Geht´s wieder?"
"Ja."
Heiliger Zipsel war er durstig, er hätte eine ganze Tränke
aussaufen können.
"Hast du Wasser?" fragte Leo.
Ronan nickte. Sprang auf die Füße, machte einen großen,
geschmeidigen Satz über das verlöschende Feuer und lief aus der
Höhle.
Der elegante Sprung brachte Leos Herz fast zum Aussetzen.
Was tat er hier nur? Egal, wie nett der Junge war, tief im Inneren
würde er immer ein Wolf sein. Und er musste Julie retten, die Zeit
drängte. Wenn es nicht schon zu spät war. Leo stand auf und
tappte vorsichtig zur Tür. Er konnte hier nicht bleiben, er musste
weg. Einfach nur weg. Sich in Sicherheit bringen, Blau in
Sicherheit bringen. Eng an die Wand gedrückt schlich er zum
Ausgang, lugte um die Felswand herum. Ronan war nirgends zu
sehen, aber Blau stand da, noch immer mit losem Zügel, und
wieherte leise. Leo steckte seinen schmerzenden Kopf in den
Tränkeimer, nahm einen tiefen Zug, und kam prustend wieder
hoch.
"Konntest du es nicht
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