Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Wasserflasche, deren Band um ihre Hüfte baumelte einmal
absah, die knielange Lockenpracht sorgfältig gebürstet, mit
weißen und purpurfarbenen Waldrebenblüten im Haar, konnte
man inzwischen wieder erahnen was für eine Schönheit die
Dryade früher gewesen sein musste.
Myra zog Julie an der Hand zu ihrem Baum, setzte sich ins
Gras und klopfte mit der flachen Hand neben sich auf das weiche
Moos.
Julie wandte sich zu Leo um, den Anouk ihr als Begleiter
ausgesucht hatte.
"Nur einen Moment, ja?" fragte sie bittend.
"Ich hab´s nicht eilig." Leo zog die Füße aus den
Steigbügeln, legte sich bäuchlings auf den Rücken seines Pferdes,
kuschelte seinen Kopf an dessen Hals und ließ Arme und Beine
an der Seite herunterbaumeln. Blau, sein Pferd, trottete
gemächlich hinter Julies Hengst her und suchte ebenfalls nach
vorwitzigen Hälmchen, während sich Leo wohlig räkelnd die
Sonne auf den Pelz scheinen ließ.
Julie setzte sich neben ihre Großmutter.
"Wie lange kannst du bleiben?" fragte Myra.
"Nur einen Augenblick. Ich habe einen diplomatischen
Auftrag. Meinen Ersten."
Myra lächelte; kleine Streifen Sonnenlicht brachen sich ihre
Bahn und tauchten die Bäume rings herum in einen unwirklichen
Schimmer; mehrere violette Schmetterlinge flogen herbei und
setzten sich auf die grünliche Haut der Baumfrau. Julie lächelte
ebenfalls. Es faszinierte sie noch immer, dass der Wald die
Gefühle der reinrassigen Dryaden so prompt widerspiegelte. Sie
selbst musste sich schon außergewöhnlich freuen, damit in ihrer
Nähe mal ein Strauch zur Unzeit zu blühen anfing.
"Das freut mich für dich", sagte Myra. "Und wohin?"
"In den Wächterswinkel. Ich soll die neuen Wächter
aussuchen."
Die Schmetterlinge zuckten zusammen und stoben davon,
doch auf Myras Gesicht war keine Regung zu erkennen.
"Sei vorsichtig im Winkel. Es ist nicht alles so wie es
scheint", sagte Myra.
"Wie meinst du das?"
"So, wie ich es sage. Hüte dich vor den Fünf, und füll´ deine
Flasche noch einmal an meiner Quelle."
Sie band ihre eigene Flasche von der Hüfte und reichte sie
Julie.
"Füll´ die auch noch. Trink nur, was du mitgenommen hast,
nichts anderes."
"Aber warum denn, ich…"
"Kind, Kind, Kind, du bist genauso starrsinnig wie deine
Mutter. Vertrau mir einfach. Und sag auch deinem Freund, dass
er seine Flasche füllen soll."
Julie war es leid zu streiten, also nickte sie nur. Eine Weile
schwiegen beide.
"Und wie geht es dir - sonst so?" fragte Myra.
Julie hatte Myra nicht persönlich von Mathys Tod berichtet,
war nicht einmal zu Besuch gekommen seit dem. Sie wusste nicht
warum, aber sie hatte Angst, dass es irgendwie endgültig wurde,
wenn sie ihrer Großmutter davon erzählte.
Sie senkte den Kopf. "Es geht."
Die Sonne zog sich hinter die Baumwipfel zurück; ein kalter
Wind wirbelte einige Blätter hoch.
"Aber es besteht Hoffnung“, fuhr sie hastig fort. "Wir- wir
sind verbunden und am nächsten Vollmond kommt er zurück.
Ganz sicher."
"Ach Kind."
Die alte Dryade sagte kein Wort mehr über Julies Kummer,
aber sie nahm sie in den Arm und hielt sie, bis Leo zum Aufbruch
drängte.
*
Einige Galoppsprünge vor ihnen wirkte das üppige
Grasland, das den Jagdwald umgab, wie abgeschnitten. So weit
das Auge reichte, wuchs in der schlammfarbenen Einöde kein
grüner Zweig. Der einzige Farbtupfer war ein Minuit, der an einer
hölzernen Schranke stand, mit blauer Hose, gelben Schuhen,
rotem Hemd und blauer Mütze. Seine Hellebarde schien im
Vergleich zu dem kindlichen Winzling so hoch, dass sie die
Wolken ritzte.
"Himmel, ist das trostlos", sagte Julie.
"Nun, es ist Minuitenland, was hast du erwartet?" Leo
spuckte aus. "Die haben nicht einmal Pferde."
Julie schüttelte sich; es war frisch geworden.
"Kein Wunder, wo sollten die auch etwas zu fressen
finden?" sagte sie.
Der Gager trieb sein Pferd an ihre Seite und beugte sich zu
Julie hinüber.
"Wenn wir gleich beim Grenzer sind, lass mich reden, ja?"
Julie nickte. Das war ihr sowieso lieber. Die eitlen kleinen
Fatzkes mit der nickeligen Gesinnung gingen ihr ganz schön
gegen den Strich und wahrscheinlich merkte man ihr das auch an;
besser Leo erledigte das, bevor es noch zu Verzögerungen kam.
Leo hielt geradewegs auf den Minuit zu und Julie folgte
ihm. Dicht vor dem Grenzer verhielt der Gager das Pferd, aber er
stieg nicht aus dem Sattel.
"Zwei Reisende auf dem Weg in den Wächterswinkel", sagte
Leo freundlich.
"Hm. Ist sie deine
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