Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Chiara noch einmal den Kopf
und rief: „ihr braucht da gar nicht hinzugehen- wenn ihr keine
Zwillinge seid, mögen sie euch sowieso nicht."
"Süßer Fratz, aber irgendwie seltsam, findest du nicht?"
fragte Leo.
Kleine Häuser, ärmlich und mit hundertfach geflickten
Strohdächern säumten inzwischen die sauber gefegte Strasse.
"Süß vielleicht- besonders nützlich war sie nicht. Wir haben
wenig Zeit, denk´ an das, was Anouk gesagt hat. Jede Minute
ohne neue Wächter ist eine Einladung an das Böse", erinnerte
Julie Leo.
Ein süßlicher Duft durchzog die Luft; Julie sah sich um. Wo
kam das nur her? Nirgendwo standen Blumen. Julie wollte
jemanden um Auskunft bitten, aber es war weit und breit
niemand zu sehen. Friedliche Stille lag über den ärmlichen
Häusern, die Wege rechts und links waren sauber gestreut, außer
den Brunnen, die hier anscheinend an jeder Ecke standen, gab es
keinen Schmuck oder Zierrat. Eine Wäscheleine zur Linken war
das einzige, was ein bisschen Farbe in die Siedlung brachte, und
die zwei Hosen und drei Hemden hatten auch schon bessere Tage
gesehen. Ein letzter Brunnen, dann überquerten sie eine breite
Schneise, auf der nur Gras wuchs. Obgleich es kurz gemäht war,
beruhigte sein Anblick Julie. Sie würde auch in der Siedlung
genug Futter für ihren Hengst finden. Gut, dass sie erst einmal
hier blieben, mit den vielen Brunnen und dem satten Grün hatte
Julie sich gleich wohl gefühlt. Das Land der Minuiten war ein
echter Alptraum dagegen.
Auf der anderen Seite der Schneise ragten die Häuser auf
wie stolze weiße Schwäne; je zwei Türen, nur durch ein schmales
Rankgitter voneinander getrennt, und ein breites Fenster auf der
Außenseite gaben allen Häusern in etwa das gleiche Aussehen.
Die Gleichförmigkeit der Doppelhäuser behagte Julie nicht, doch
sie kam nicht umhin zu bemerken, dass der Standard hier
deutlich höher war als in der Vorstadt mit den Einzelhäusern.
Geschmückte Fassaden, Vorhänge vor den Fenstern, Blumen und
Gemüsebeete, es schien an nichts zu fehlen. Immer zwischen zwei
Doppelhäusern stand ein Brunnen, dahinter jeweils ein kleiner
Holzschuppen mit einer Pferdetränke davor- selbst für die Tiere
war gesorgt. Dennoch hatte sich ihr Wohlgefühl aus der Vorstadt
verflüchtigt.
Leo schnaubte.
"Das gefällt mir nicht. Nichts dabei, was sich zu zeichnen
lohnen würde, aber wirklich gar nichts", maulte er.
Julie verstand, was er meinte.
"Lass und die Fünf suchen, die Wächter auswählen und vor
Einbruch der Nacht wieder verschwinden", sagte sie.
Leo nickte und trieb Blau zu einer schnelleren Gangart an.
"Je eher wir hier wegkommen, desto besser."
Ein Platz tauchte auf, und von ihrer erhöhten Position auf
dem Pferd aus sah man gut, dass alle Wege in dieser Siedlung auf
den Mittelpunkt zuführten wie die Strahlen eines riesigen Sterns.
Obgleich der ganze Platz mit Menschen jeden Altershauptsächlich Zwillingen- gefüllt war, herrschte atemlose Stille.
Julie und Leo verhielten ihre Pferde gleichzeitig und nötigten sie
zum Schritt; als sie die ersten Menschen auf dem Weg erreichten
stiegen beide ab, ohne dass sie sich abgesprochen hatten und
zogen ihre Pferde am Zügel hinter sich her.
Die Menge wich zurück, aus der schmalen Gasse, die
entstand, trat ihnen eine Frau entgegen. Das ungebleichte
Gewand umschloss die Figur nur locker, unmöglich zu sagen ob
sich ein Mann oder eine Frau darunter verbarg, aber das füllige
Gesicht unter Stirnband und der strengen Haube ließ keinen
Zweifel zu- es war eine Frau.
Julie verbeugte sich tief; das musste eine der Fünf sein.
Anouk hatte ihr aufgetragen sich mit den Fünf, fünf weisen
Frauen, die gemeinsam das Geschick des Wächterswinkels
bestimmten, gut zu stellen. Immerhin hing ihrer aller Wohl und
Wehe davon ab, dass der Winkel Nachschub an Wächtern lieferte.
"Seid mir gegrüßt."
Sie nickte Julie und Leo zu.
"Sei uns gleichfalls gegrüßt, eine der Fünf. Ich bin Julie, die
neue Hüterin. Und das hier ist meine Reisebegleitung, Röwe von
der Weiden aus Gagrein. Wir brauchen neue Wächter."
Julie ignorierte Leos strafenden Blick; das hier war eine
offizielle Mission, wie sollte sie ihn bitte sonst vorstellen? Leo der
Künstler?
Nun verbeugte sich auch die Frau, wenn auch nicht ganz so
tief wie Julie vorher. "Fammina von den Fünf. Der Hüterin stets
zu Diensten."
Noch immer schwieg die Menge, doch kam es Julie vor, als
seien die Umstehenden weniger aufmerksam oder gar neugierigeher
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