Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
hättest, was würdest du ändern?"
Julie schnaubte. Anouk hing eindeutig zuviel mit Chris
zusammen, sogar die Argumente waren die gleichen.
"Keine Ahnung, aber zu resignieren kann doch wohl nicht
die Lösung sein. Wenn niemand einen Weg sucht, wird die
Chance eine Möglichkeit zu finden wohl nicht gerade größer",
fauchte sie.
"Ich kann verstehen, dass du wütend bist, aber viele haben
einen Weg gesucht und keinen gefunden. Finde dich damit ab:
das menschenverachtende System im Wächterswinkel sorgt
dafür, dass wir hier warm und sicher sitzen."
"Mir egal, das ist trotzdem ein übles System. Noch mal
mache ich das nicht mit!" rief Julie und rauschte aus dem Raum,
ohne sich zu verabschieden.
Draußen lehnte sie sich an die grob behauenen Quader der
Wand im Gang und atmete tief durch.
Es war ein gutes Gefühl in aller Deutlichkeit `Nein` gesagt
zu haben. Kleine Kinder umzubringen und Zwillinge
verschwinden zu lassen, also bitte, wie sollte man da noch wissen,
wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehörte?
"Hier steckst du!" rief Leo und tappte auf seinen nackten
Füssen auf sie zu. Die Gänge waren in diesem Teil der Burg echt
hoch; obwohl Leo so ein langer Kerl war, passten sicher zwei von
seiner Statur übereinander in den Gang; kein Vergleich mit den
niedrigen Gängen im Keller.
"Kommst du mit in den Stall, Pferde füttern?" fragte der
Gager.
Julie erschrak; sie war mit Stalldienst dran, war sie schon zu
spät? Das würde Hafer ihr ziemlich übel nehmen.
"Wie spät ist es denn?" fragte sie.
"Noch Zeit genug, aber ich dachte du vergisst es vielleicht,
wenn ich dich nicht erinnere. War ganz schön viel los, die Tage,
was?"
"Da sagst du was", antwortete Julie. Noch härter waren
solche Tage, wenn man sich so alleine fühlte wie sie. Noch fünf
Nächte bis zum Vollmond. Wie sollte sie das nur aushalten?
Draußen vor der Burg reichte Leo ihr ein Bund Möhren.
"Ganz frisch. Haben die beiden sich verdient, hm?"
Julie nickte.
Palaron lief vorbei, grüßte knapp und verschwand in der
Burg.
"Der sieht auch nicht gerade glücklich aus", sagte Julie.
"Kein Wunder", antwortete Leo.
"Wie meinst du das? Gab es wieder einen Angriff?" fragte
Julie.
"Soweit ich weiß nicht“, sagte Leo. „Aber meine Mutter hat
mir viel über Zwillinge beigebracht- kommt ja auch bei Pferden
vor. Wenn auch nur ganz selten", räumte er ein.
"Nun rück schon raus damit, oder muss ich dich am Pelz
ziehen?" Julie streckte die Hand aus, als wolle sie sich in Leos Fell
festkrallen.
"Schon gut." Er lachte. "Zwillinge sind wie Pferd und Gager,
wenn man sie voneinander trennt, sind beide untröstlich. Und
Palaron", er beugte sich vor und begann zu flüstern, "ist noch
schlechter dran. Sein Zwilling ist nicht nur weit weg, sondern
irgendwie auch nicht mehr sein Zwilling."
"Wieso das denn?" Julie flüsterte jetzt ebenfalls, auch wenn
sie nicht genau wusste, warum. Aber sie standen schon vor dem
Stall und Gager haben gute Ohren; vielleicht war das hier nicht
für Onkel Hafer bestimmt?"
"Die Wölfe werden ihn beißen, habe ich gehört, und dann
wird er einer von ihnen. Verwandelt sozusagen. Tagsüber ist er
dann noch ein Mensch, aber nachts…" Leos Stimme brach und ein
Ausdruck des Grauens huschte über sein fellbewachsenes
Gesicht.
"Oh." Julie schob den Riegel der Stalltür auf, ratschte sich an
einem Nagel und fluchte.
"Pst", sagte Leo leise.
Blut lief an ihrem Arm herunter und über eine Möhre. Julie
wischte den Arm an der Hose ab und die Möhre im Gras sauber,
roch daran, nahm den Kupfergeruch immer noch wahr, überlegte
es sich anders, und warf die Möhre ins Gebüsch. Ganz schön tief,
der Kratzer. Dämlicher Nagel.
"Klingt echt furchtbar, aber warum flüstern wir?"
"Wegen Onkel Hafer", kam es leise zurück. "Er hasst Wölfe
so sehr wie jeder Gager. Der muss nur das Wort `Wolf´ hören,
dann dreht der völlig durch."
*
Julie warf den kümmerlichen Lichtball, der immerhin das
Beste war, was sie heute produziert hatte, durch das Dämmerlicht
des frühen Abends in Richtung Zielscheibe und seufzte. Es wollte
ihr einfach nicht gelingen, die gleiche Leistung wie vor ihrer Reise
in den Wächterswinkel beim Üben zu erbringen, aber war das ein
Wunder? Die Haut unter dem Schorf an ihrem Arm juckte und sie
rubbelte feste, bis sich die Kruste löste und glatte rosa Haut
freigab.
Anouk war zur Zeit nachsichtig, sie freute sich, nicht mehr
Wache stehen zu müssen und hing nur noch mit Chris herum.
Aber Julie war mit sich selbst
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