Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
eingebrannt schienen. Sechs schwere Angeln und
ein riesiges Schloss sicherten die Pforte in ihrem felsigen Rahmen.
Was mochte dahinter sein? Julie hielt den Atem an, während
Chris den Eingang mit kompliziert wirkenden Handbewegungen
und einem murmelnden Singsang bearbeitete, bis das große
Schloss mit einem erstaunlich leisen Klicken aufsprang.
Die Kammer, die hinter der Tür lag, schien auf den ersten Blick
genau wie Julies kleines Reich oben. Ein Bett, eine Truhe, ein
Kamin, ein Wollteppich, Stuhl und Waschschüssel. Doch eines
war anders- der typische Geruch fehlte. Jedermanns Kammer
roch nach irgendetwas, diese hier roch nur nach Stein und
Feuchte.
Hier hatte lange keiner mehr gewohnt. In der Mitte der schlichten
Behausung stand Anouk, sie trug bereits Reitkleidung. Ihr Busen
war prall und groß. Julie schluckte. Ob der mit sechzehn Jahren
auch so flach gewesen war? Vielleicht wuchs ihrer noch? Doch
selbst wenn - Anouk würde sie nie das Wasser reichen können.
Obwohl Anouk ihre glänzenden schwarzen Haare zu einem
praktischen Knoten geschlungen hatte, sah sie mit der roten
Reitbluse und den schwarzen Stiefeln zu der engen schwarzen
Reithose aus, als wolle sie zu einer Modenschau. In der Hand
hielt die alte Hüterin einen großen bronzenen Schlüssel.
Julie blickte auf den Schlüssel, dann wurde ihr klar, dass sich in
dieser Kammer doch etwas von ihrer eigenen unterschied: die
Truhe hatte ein wuchtiges geschmiedetes Schloss und war
ringsherum mit kunstvollen Bändern und Beschlägen gesichert.
Anouk wandte sich an Julie:
„Du bist jetzt seit drei Jahren meine Schülerin. Das Ritual und die
Reise nach Aßlar heute werden deine ersten Handlungen als
meine offizielle Stellvertreterin sein. Ich werde dich Iyel- Aton,
dem obersten Fürsten der Elfen, vorstellen und den Vertretern der
anderen Völker. Die Gelegenheit ist günstig, denn zu einem
Schluss des ewigen Bundes kommt mindestens ein Gesandter
jedes Volkes.“
„Danke!“ Julie deutete eine Verneigung an, wie Anouk es sie
gelehrt hatte; sie musste an das Gespräch am Morgen denken.
„Bist du sicher, dass ich soweit bin?“
Anouk drückte sich vor einer konkreten Antwort.
„Es ist an der Zeit, da bin ich sicher.“
Julie schluckte. Um abzulenken fragte sie: „Wessen Kammer ist
das hier?“
„Die Kammer der ersten Hüterin. Das ist der Grund, warum ich
dich rufen ließ. Heute wirst du einen der Gegenstände aus dem
Nachlass der ersten Hüterin erhalten. Sie sind alle zauberkräftig.“
Anouk nahm den Schlüssel und steckte ihn in das Schloss der
Truhe. Er passte perfekt und der Mechanismus öffnete sich willig.
Anouk wuchtete den massiven Deckel hoch. Dann trat sie einen
Schritt zurück und zeigte auf den Kasten.
„Bitte!“
Julie runzelte die Stirn. Sollte sie jetzt etwas aussuchen?
„Tritt einfach vor die Truhe; den Rest erledigt der Zauber. Die
erste Hüterin ist zwar schon lange von uns gegangen, aber ihre
großartige Kunst überdauert die Zeit. Der Gegenstand wird dich auswählen.“
Julie trat an den Rand der Kiste und schaute hinein; das
Geschmeide und die seltsamen Gegenstände funkelten und
strahlten, als würden sie täglich gewienert. Eine filigrane Brosche
zog ihren Blick auf sich; sauber eingefasste Steine bildeten
zusammen mit glänzendem Silber eine blühende Dolde, die
friedlich schimmerte. Die alte Hüterin war ihrem Blick gefolgt.
„Die Agraffe der Klarheit… auch ich wäre gern ihre Trägerin,
aber ich glaube auf dieser Lade ist nichts für dich.“
Anouk nickte Chris zu, gemeinsam hoben sie das oberste
Holztablett der Kiste ab, unter den sich eine zweite Ebene befand.
Als sich der erste Spalt zeigte, strahlte gleißendes Licht heraus.
Nachdem das obere Tablett vollständig entfernt war, schien der
ganze Raum wie in helles Sommerlicht getaucht. Julie schloss
geblendet die Augen. Als sie die Lider wieder öffnete, sah sie die
Quelle des Lichtes: es ging von einem runden, silbernen
Anhänger aus. Julie warf einen Blick zu Anouk- die nickte.
Vorsichtig griff Julie in das Leuchten und nahm das Amulett
mitsamt der ledernen Umhängeschnur hoch. Es war so hoch und
breit wie eine große Münze. Ein wundervoller Stern, eine Sonne
und ein Mond, zusammen mit einem Baum- dem Zeichen der
Dryaden- waren darauf zu sehen.
Julie sah aus dem Augenwinkel, wie Chris Anouk einen
fragenden Blick zuwarf; Anouk zuckte nur die Schultern.
„Was ist das? Was hat es für Zauberkräfte?“ fragte Julie.
Anouk klappte den Deckel
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