Dryadenliebe (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
behutsam zu.
„Es ist das Amulett der Hoffnung. Wenn du es trägst, wirst du
immer auch die Möglichkeiten sehen, nicht nur die Grenzen. Laut
der alten Überlieferung soll es seiner Trägerin in schweren Zeiten
helfen.“
Sie stockte kurz.
“Was es sonst noch kann, wirst du allerdings selbst herausfinden
müssen, denn außer dir hat es seit der ersten Hüterin noch
niemand wieder getragen.“
Julie drehte das inzwischen erloschene Amulett ins Licht der
nächsten Fackel und ließ die kleinen Sterne noch einmal funkeln.
Als sie sich umwandte, sah sie wie Chris und Anouk abermals
einen seltsamen Blick tauschten. Julie kannte Anouk inzwischen
gut genug um zu wissen, dass ihre Lehrherrin ihr irgendetwas
verheimlichte. Ein ungutes Gefühl beschlich sie; sie musste
nachdenken.
Vor drei Jahren war es ihr wahrhaftig schlecht gegangen, der
Vater verletzt, ihre Welt bedroht- was mochte den Zauber der
ersten Hüterin bewogen haben, ihr zu diesem Zeitpunkt ein
Schutzamulett für schlechte Zeiten zu schenken? Doch dann
schalt sie sich eine Närrin, schob das Amulett in ihren Beutel und
verschloss ihn sorgfältig.
"Danke."
Hoffnung war immer gut, warum nicht ein bisschen magische
Unterstützung genießen?
Chris eilte kundig voraus, sodass Julie, obwohl in Gedanken
versunken, in erstaunlich kurzer Zeit wieder vor ihrem Bett stand,
die Taschen in der Hand und das Amulett wohl verborgen im
Beutel an ihrem Gürtel. Sie warf einen letzten Blick in die Runde.
Da! Das Zundertäschchen lag auf dem Kaminsims. Eilig steckte
Julie es zu den anderen Sachen und trat aus ihrer Kammer.
Die Pferde der Wartenden tänzelten trotz der Packlast unruhig.
Julie und Anouk waren offensichtlich die Letzten, die noch zur
Abreise fehlten. Viele der Tallyner waren schon morgens
aufgebrochen, doch Daan war Mitglied im Rat und musste beim
Ritual im Nebelfeld anwesend sein; Ria hatte beschlossen, mit
dem Rat zusammen zu reiten, so kam sie wenigstens nicht in
Verlegenheit, dem Elfenfürsten ohne Daans Beistand über den
Weg zu laufen. Julie wusste wohl, dass Iyel-Aton gegen Daans
Verbindung mit Ria war, hoffentlich ließ der Fürst sie seine
Abneigung nicht zu sehr spüren. Julie hatte sich seit der
dramatischen Rettung von Rias Mutter mit der Halbdryade
angefreundet. Sie würden auf dem Ritt sicher keine Langeweile
haben, sie musste unbedingt die Namen auf der Liste lernen. Und
trotz aller Vorbereitungen konnte es nicht schaden, wenn sie
gemeinsam mit Ria auf dem Ritt nach Aßlar die Worte des
Bundes noch einmal durchging.
Mathys war da, doch Julie mied seinen Blick. Auch Leo saß schon
hoch zu Ross; was für ein wundervolles Pferd. Ihre Satteltaschen
waren schon festgezurrt, als Anouk aus dem Portal der Burg trat
und erst Mathys, dann Daan und Ria zunickte. Mit der
Behändigkeit einer Katze schwang die Hüterin sich auf ihr Pferd
und schnalzte mit der Zunge.
„Auf ins Nebelfeld!“ rief Chris.
„Auf ins Nebelfeld!“ kam es fröhlich von allen Seiten zurück und
der Tross setzte sich in Bewegung.
Der Nabel der Welt
Gerade waren noch Schneeflocken auf Gos Mähne gefallen, dann
ritt Julie durch ein geöffnetes Erntetor und fand sich im
glühenden Sonnenschein wieder. Nur wenige hundert Meter
weiter, hinter dem zweiten Tor, war es gerade Frühling und die
Vögel in den duftigen Blütenwolken an den Obstbäumen
zwitscherten sich die Seele aus dem Leib. Die schnellen Wechsel
in den Erntefeldern erstaunten Julie auch nach all den Jahren
noch; es fühlte sich geradezu unglaublich an, im einen Moment
durch tiefsten Schnee zu reiten und im nächsten Moment die
brennende Sommersonne im Nacken zu spüren. Wie weit war es
bis zum Nebelfeld? Julie stellte sich in den Steigbügeln auf und
zählte die Felder. Noch Fünf. Die Brücke über den westlichen
Hauptarm der Loy war in der Ferne schon zu sehen.
Frühling, wieder Sommer, Herbst - Julie pflückte sich im
Vorbeireiten einen roten Apfel vom nächsten Baum und biss
hinein. Noch einmal Winter, das Feld hatte seine Ruhephase,
wieder Frühling und dann war es soweit.
Sie standen an der Brücke zum Nebelfeld. Bis hierher war Julie
schon oft gekommen, aber sie hatte es noch nicht einmal über die
Brücke geschafft. Die Brücke war mit einem Schutz versehen, der
ähnlich wie der Türschutz in der Burg und damals im Zelt
verhinderte, dass Unbefugte auf das Nebelfeld gelangten. Sie
hatte immer noch keinem blassen Schimmer, warum die flache
Landschaft, die sich hinter der Brücke erstreckte
Weitere Kostenlose Bücher