Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
alles tun, um einen Platz im Rat zu bekommen.“
Stille setzte ein; Anouk trat an das hohe Bogenfenster und überlegte. „Möglich wäre es. Sie hat Theoprast verletzt, da kann man ihr auch so etwas zutrauen“, sagte sie schließlich.
„Aber wir haben noch keine Beweise“, Chris legte fröstelnd einen Holzscheit nach. „Bis dahin sollten wir uns nicht zu sehr festlegen.“
Anouk stimmte zu. „Wir sollten sie bitten, sich dem Geist des Rates zu öffnen. Wenn sie einwilligt, können wir sehen, ob sie etwas zu verbergen hat.“
„Natürlich!“ Chris sprang auf. „Wieso habe ich nicht gleich daran gedacht! Ich werde mit den anderen sprechen und alles in die Wege leiten“, rief er. Dann verließ er im Eilschritt den Raum. Anouk lehnte die Stirn an die kühlen bunten Bleiglasfenster und rührte sich lange nicht von der Stelle.
Tonia hatte nach der Befragung ein Bett im Krankenzimmer bekommen, der Schlag auf ihren Kopf war heftig gewesen. Sie hatte sich zwei Mal übergeben müssen. Als sie mit verquollenen Augen erwachte, konnte sie sich an keines der Ereignisse mehr erinnern. Sie erbrach sich abermals in die Schüssel neben ihrem Bett. Chris, der auf einem Sessel nahe der Tür Wache gehalten hatte, begrüßte sie nicht unfreundlich. „Geht es dir besser?“, fragte er.
„Es geht; was ist passiert?“, fragte Tonia.
„Du wurdest im Wald gefunden, neben Dendras Eiche. Die Eiche war fast abgeholzt worden.“
„Wie furchtbar“, sagte Tonia.
„Zumindest ist Dendra außer Lebensgefahr.“ Chris scharfer Blick tastete Tonias Gesicht ab. „Hast du das getan?“
„Ich?“, Tonia schien empört. „Natürlich nicht!“
Chris lächelte und wippte mit der Fußspitze seines übergeschlagenen Beines. „Dann hast du ja sicher nichts dagegen, dich dem Geist des Rates zu öffnen, oder?“
Tonia schwieg, ein Ausdruck des Entsetzens huschte über ihr Gesicht. Für die Sache bei den Katakomben konnte man ohne weiteres geächtet werden; und wenn sie den Rat nicht in ihren Kopf ließ, konnte ihr auch keiner etwas nachweisen. Tonia wand sich. „Wenn ich eines Tages Ratsmitglied werden soll, müsst ihr mir schon vertrauen; so kann ich euch nicht dienen“, murmelte sie.
„Ist das ein Nein?“, hakte Chris nach.
„Das ist es“, gab Tonia mit hohler Stimme unsicher zurück.
Ein Sirren hob an. Der Rat musste nicht im Raum sein, um sich zu versammeln. Chris sprach mit der Stimme des gesamten Rates: „Tonia Harder, du bist wegen Behinderung des Rates in einer Straftat für ein Jahr geächtet. Du kannst die Ächtung aufheben, indem du dich dem Geist des Rates öffnest. In der Zeit deiner Ächtung muss deine Anwärterin mit einem Gefährten zurechtkommen oder sich einen Ersatz zuweisen lassen.“ Das Sirren brach ab.
Tonia öffnete den Mund.
„Wolltest du noch etwas sagen?“, fragte Chris.
Tonia schloss den Mund und schüttelte den Kopf.
„Wir sehen uns in einem Jahr, du kennst die Regeln.“
Die Tür fiel schwer ins Schloss. Tonia verbarg ihren Kopf in den Armen und weinte. Das rote Mal der Ächtung erschien auf ihrer Stirn.
Als Julie sich beruhigt hatte, fiel ihr Dendra wieder ein. Es schien der Baumfrau besser zu gehen; aus irgendeinem Grund war Julie sich da sicher. Trotzdem wollte sie selbst nachsehen. Die Mückennetze waren bei beiden Jungs unten.
„Mathys, Daan!“, rief Julie halblaut. Als keine Antwort kam, versuchte sie es lauter: „Daan! Mathys!“ Doch erneut antwortete ihr nur die Stille des beginnenden Abends. Die Musiker und Helfer waren nach Hause gegangen; keiner hatte nach den zurückliegenden Ereignissen Lust, weiter das Fest vorzubereiten. Achselzuckend schlüpfte Julie in ihre Lederschuhe und schlang die Halteschnüre um die Beine. Dann würde sie eben alleine in den Wald gehen. Angst hatte sie nicht, der Schock über Billes Tod und den Anschlag auf Dendra hatte jedes Gefühl in dämpfende Watte gepackt. Julie machte sich auf den Weg durch den abendlichen Forst.
Im Wald ging sie zuerst noch einmal zur Quelle. Inzwischen war das Leben hierher zurückgekehrt: Eichhörnchen sprangen durch die Gegend, kleine Schleichen wuselten durch das Laub, und ein Frosch hüpfte unerschrocken quer über den Weg. Der Frosch quakte vorwurfsvoll, weil er mitten im schönsten Sprung bremsen musste, um nicht auf Julies Fuß zu landen. Ganz in Gedanken nahm Julie ihn kurz hoch – sie liebte Frösche – und sah ihn sich genauer an. Der Frosch sah aus wie jeder andere auch. Julie wollte ihn schon
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