Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
wieder auf den Boden setzen, als etwas Seltsames geschah. Die Flecken an der Seite, die Julie für eine Zeichnung des Frosches gehalten hatten, spannten sich auf und kleine Flügel kamen zum Vorschein. Schwerfällig flatterte der Frosch zu Boden, legte die Flügel wieder an und hüpfte weiter, als sei nichts geschehen. Julie lachte; doch das Lachen klang nach den Ereignissen seltsam hohl in ihren Ohren.
Bedacht darauf, leise zu sein, ging Julie weiter in Richtung Eiche. Plötzlich schob sich eine Hellebarde vor ihr Gesicht. Julie machte einen erschrockenen Satz seitwärts. Urs, der Schmied, versperrte überraschend mit seiner massigen Gestalt den Weg.
„Huch!“, rief Julie überrascht, „hast du mich erschreckt!“
Urs lächelte nicht, seine Stimme klang ernst. „Ich stehe Wache. Ich werde niemanden durchlassen, auch dich nicht. Denn wenn ich es nicht richtig mache, kann wer weiß was passieren.“
Julie überlegte, dann sagte sie zögernd: „Ich möchte nur wissen, wie es der Baumfrau geht. – Kannst du für mich nachfragen?“
„Nein“, brummte Urs, „denn dazu müsste ich meinen Posten verlassen. Und das mache ich nicht, nicht einmal für dich.“
Ratlos stand Julie vor dem Schmied. Sollte sie einfach umdrehen und wieder gehen? Es knackte und raschelte hinter Urs. Außergewöhnlich behände und bei seiner Gestalt vollkommen unerwartet, wie ein Tier zum Sprung geduckt, drehte der Schmied sich um. Julie sog scharf die Luft ein. Von Überraschungen hatte sie echt die Nase voll. Doch es war nur Chris, der sich mühsam links des Weges durch das Unterholz kämpfte.
Urs sprach ihn an: „Chris, ich habe meinen Posten nicht verlassen!“
„Ich weiß, ich weiß“, beruhigte Chris den Hünen. „Dendra schickt mich; sie sagt, dass Julie hier wartet, und möchte sie sehen.“
Julies Gedanken rotierten. Woher wusste die Dryade von ihrem Kommen? Warum hatte Urs solche Angst, seinen Posten zu verlassen? In Gedanken versunken folgte Julie Chris bis zu der Eiche. Aus Moos und Blütenblättern hatte man ein weiches Lager errichtet und die Baumfrau darauf gelegt. Der Behelfsverband, den Julie gefertigt hatte, lag zerdrückt am Boden. Unter dem neuen, unversehrten Kleid war von der Verletzung nichts mehr zu sehen; nur die unnatürliche Blässe der Dryade wies noch darauf hin.
Als sie Julies ansichtig wurde, erhob sich Dendra, soweit es ihre Kräfte zuließen. „Mein Kind, ich bin froh, dass du unseren Ruf erhört hast. Meine Eiche und ich verdanken dir unser Leben; diese Schuld werden wir eines Tages begleichen. Du bist in allen Wäldern dieser Welt willkommen.“
Julie schluckte. Sie war nicht gekommen, um sich den Dank zu sichern, sondern um zu sehen, wie es der Dryade ging. Was sagte man denn nur in so einem Moment? Sie verbeugte sich kurz und sprach einfach aus, was ihr als erstes in den Sinn kam. „Das habe ich doch gerne getan. Wie geht es dir?“
„Es geht mir besser – wenngleich die Schäden an der Eiche schwerwiegend sind. Ich weiß nicht, ob der Baum je wieder der alte sein wird. Auch meine Verletzungen werden ihre Narben hinterlassen; wie kann ein Geschöpf nur so etwas tun?“ Dendra seufzte. „Doch lieber zu dir. Hast du einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“
Julie sann über das Angebot nach. „Ja! Du scheinst sehr klug zu sein; beantwortest du mir eine Frage? Sie quält mich schon seit langem.“
Die Dryade nickte.
„Warum konnte Chris meiner Mutter nicht helfen? Sie war noch am Leben, und er hatte magische Kräfte und Tränke und das alles. Warum habt ihr sie sterben lassen?“ Julie schluchzte laut auf.
Chris schaute betroffen zu Boden. Er hatte es doch Julies Vater schon erklärt. Zu Julies Überraschung fing auch die Baumfrau an zu weinen. Schimmernde Tränen rollten wie fallender Tau über das schöne, bleiche Gesicht. Einige Blätter fielen von den nahe gelegenen Bäumen, und die Tiere zogen sich ängstlich in das Unterholz zurück. Der eben noch helle Himmel wirkte düster und trostlos. Dendra warf einen Blick zu Chris; unmerklich nickte das Ratsmitglied.
„Julie, es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst. Setz dich.“
Julie gehorchte und ließ sich auf den Boden neben Dendras Lager sinken. Die Dryade ließ sich Zeit; mühsam rang sie um Worte für einen passenden Anfang. Fahrig spielten Julies Finger mit dem zart-gerollten Grün eines jungen Farns am Boden; sie wollte endlich wissen, worum es hier eigentlich ging. Schließlich begann die Baumfrau zu
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